Columbo: Ein sauberer Tod (Teil 2)

Wir möchten versuchen, eine Columbo-Episode in Roman bzw. Comic Form zu schaffen. Falls ihr Ideen für einen neuen Fall habt schreibt es hier.

Columbo: Ein sauberer Tod (Teil 2)

Beitragvon Columbologe » Mi, 17.12.2025 08:49


 KAPITEL 7
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Die Sonne hatte ihren Zenit überquert und war langsam auf dem Weg, an diesem Dienstag wie an jedem anderen Tag unterzugehen. Gleichzeitig war Columbo auf dem Weg zur "Handle the Art Company". Als er dort auf dem Flur von Marc Rainsbury entdeckt wurde, sprach dieser ihn freudig und definiert an: 
"Inspektor Columbo! Haben Sie meine Caboria-Musikkassette dabei?"
Columbo erhob den nachdenklich gesenkten Kopf.
"Ah, Sie wieder, Mister Rainsbury! Meine Frau hatte gestern ihren Bowling-Abend; den hat sie jeden dritten Montag, aber für heute hat sie sich fest vorgenommen, die Kassette zu hören. Ich wollte trotzdem auch mit Ihnen sprechen."
"Haben Sie sich heute mit Mister van Zonbrooks getroffen?"
"Das habe ich tatsächlich."
"Ist er in irgendeiner Weise verdächtig?"
Marc stellte seine Fragen ganz gezielt, was nicht weiter ungewöhnlich erschien, da er kein Geheimnis daraus machte, mit seinem Vorgesetzten eng befreundet zu sein. Es hätte Columbo eher skeptisch gemacht, wenn der Putzmann sich nicht für die Fortschritte der Ermittlung interessiert hätte.
"Nein, Sir, davon, dass Mister van Zonbrooks verdächtig ist, kann keine Rede sein."
"Nein?"
"Nein."
"Warum nicht? Was hat er Glaubwürdiges zu der Zigarre im Aschenfach von Chris Handles Wagen gesagt?"
"Ich glaube ihm, dass er in dem Auto keine Zigarre geraucht hat, weil er mich völlig optimistisch auf die Wache begleitet hat, als wisse er mit Sicherheit, dass seine Speichelprobe nicht zu dem gefundenen Zigarrenstummel passen kann."
"Es war also die Zigarre eines anderen?", fragte Marc verwundert.
"Nein, es stimmt schon die Speichelprobe von Mister van Zonbrooks überein mit dem Speichel am Zigarrenstummel, aber was beweist das schon? Seine ungläubige Reaktion, als ihm das Ergebnis mitgeteilt wurde, wirkte für mich authentisch. Und ich halte den Mann auch nicht für so dumm, ein so klassisches Beweisstück gegen ihn so offensichtlich zurückzulassen. Außerdem scheint van Zonbrooks ein Alibi zu haben. Wir wissen, dass Mister Handle um 14:46 Uhr am Freitag noch mit seiner Frau telefoniert hat. Der nächste Anruf, der auf seinem Handy einging, war um 15:42 Uhr. Diesen hat er schon nicht mehr beantworten können. Mister van Zonbrooks behauptet, er hätte ungefähr um diese Zeit zwischen 15:00 und 15:45 fürs Wochenende Pfifferlinge und Paradiesäpfel im Hofladen seines Bauern eingekauft, aber das muss ich offen gestanden erst noch überprüfen."
"Mich interessiert viel mehr, wo Chris ist und ob er wohlauf ist", antwortete Marc, dem ihm unbequem gewordenen Thema Zigarrenstummel ausweichend.
"Ich habe eine Idee, Sir. Ich werde das Gefühl nicht los, dass sich Chris Handle irgendwie reingestopft inmitten der Rausschmeißer-Röhre befinden könnte."
Marc schaute ungläubig.
"Ist nicht Ihr Ernst!"
Columbo rechtfertigte sich für den Gedanken des André van Zonbrooks, den er dreist als seinen eigenen verkaufte:
"In der Rausschmeißer-Röhre würde man Mister Handles Leiche aber niemals entdecken, weil sie nicht ernsthaft zum Rausschmeißen von unliebsamen Gästen benutzt wird. Das wäre übrigens auch strafbar, weil lebensgefährlich." 
Marc wollte sich nicht überzeugen lassen. Wieso auch? Niemand außer ihm wusste mit Sicherheit, dass Chris dort nicht sein kann, weil er woanders ist.
"Das soll jetzt keine Kritik an Ihren Fähigkeiten als Polizist sein, aber ich halte Ihre Idee mit Verlaub für absurd, Inspektor Columbo. Werfen wir doch irgendwas Großes in die Röhre hinein und schauen wir, ob es unten wieder rausfällt! Wenn nicht, dann verstopft wohl wirklich eine Leiche die Röhre. Wenn aber doch, dann hoffen wir weiter, dass Chris noch lebt, und sprechen von ihm nicht als Leiche, einverstanden?"  
Columbo ließ sich auf den Vorschlag ein. Marc nahm den einen Müllsack, der sich seit Freitagnachmittag neu angestaut hatte, vom Abfallwagen. Columbo betrachtete sich den Sack genau, öffnete die Klappe der Röhre und schob ihn hinein. Wie ein Kind auf einer Wasserrutschbahn im Schwimmbad glitt der Sack nicht ganz geräuschlos und rasant die schräge, hohle Röhre hinab. 
"Ich habe den Aufprall gehört, Inspektor Columbo. Sie auch?"
"Ich bin mir nicht ganz sicher. Ihre Ohren waren näher dran als meine."
Also fuhr Columbo mit Marc im Aufzug ins Untergeschoss und vergewisserte sich mit eigenen Augen, dass der Müllsack unten angekommen war. Marc packte ihn und warf ihn in den Container in der Tiefgarage.
"Zufrieden, Inspektor?", fragte Marc ein wenig rechthaberisch.
"Ja, war eine alberne Idee von mir. Entschuldigen Sie vielmals. Ich bin halt von der Mordkommission. Da befürchte und sehe ich immer und überall Foulplay."    
"Haben Sie sonst noch eine alberne Idee, von der ich Sie erlösen kann?"
Columbo war tatsächlich noch nicht am Ende mit seiner inneren Unaufgeräumtheit.
"Ich mache mir Gedanken darüber, warum das Handy auf dem Schreibtisch lag."
Marc setzte den Gedankengang logisch fort:
"Ob Chris es dort absichtlich liegen gelassen hat oder ob er es vergessen hat?"
"Wäre er aktiv und freiwillig untergetaucht, hätte er das Handy doch bestimmt auf seinen Reisen gebraucht, denken Sie nicht, Sir?"
Marc ließ sich furchtlos und gerne auf Columbos Gedankenspiel ein.
"Vielleicht hat Chris das Handy absichtlich zurückgelassen, um nicht geortet werden zu können. Oder er wollte, dass wir denken, ihm sei etwas Kriminelles zugestoßen, damit er irgendwann für wahrscheinlich tot erklärt wird und wir ihn nicht mehr suchen." 
"Gehen wir mal von einem Verbrechen aus, Mister Rainsbury. Was verrät uns dann die Position des Handys auf dem Schreibtisch über den Täter?"  
Marc dachte kurz nach.
"Wenn hier ein Verbrechen vorliegen sollte - zur Hölle mit dem Teufel! - und wenn der Verbrecher geplant hat, meinen Freund Chris verschwinden zu lassen, dann hätte man mit Hilfe des Handys sein Versteck orten können. Also musste der Täter das Handy zurücklassen."
Columbo fragte sich und Marc:
"Hätte der Verbrecher das Handy nicht einfach ausschalten können, um auf der sicheren Seite zu sein? Ich würde denken, dass sich ein ausgeswitchtes Handy nicht aktiv orten lässt, weil es keine Verbindung mehr zu Mobilfunkmasten und WLAN-Netzwerken herstellt."
"Da kann man sich nie sicher sein, Inspektor. Der letzte bekannte Standort wird bestimmt vom Mobilfunkanbieter oder von Google gespeichert, und je nachdem wo der Täter die Tat ausgeführt hat und das Handy in die Finger bekam, könnte das schon sehr verräterisch für einen Verbrecher sein."
Columbo verfeinerte den Gedanken:
"Oder hat der Täter das Handy deshalb nicht ausgeschaltet, weil das verraten hätte, um welche Uhrzeit das Verbrechen verübt wurde? Auch die Uhrzeit hätte verräterisch sein können, wenn wir wissen würden, wer zur betreffenden Zeit bei ihm war, oder sie hätte auch nützlich für den Täter sein können, sobald wir wissen, wer ein Alibi hat und wen wir deshalb von der Liste der Verdächtigen streichen müssten."  
Marc schmunzelte.
"Ich bin froh, dass ich nur Reinigungsfachmann bin und kein Detektiv. Ihre Arbeit wäre mir zu kompliziert. Es kann doch immer alles so oder so oder völlig anders sein. Nie weiß man genau, wie etwas war." 
"Das ist gerade, was ich an meinem Beruf liebe! Dass sich aus jedem Rätsel die Wahrheit herauskitzeln lässt, wenn man sorgfältig über die Umstände nachgrübelt."
Marc schaute auf die sich selbst umdrehende Sanduhr, die über einer Tür im Flur hing, und die der Beweis für ein Perpetuum mobile war.
"Ich muss noch ein paar Räume putzen. Wären Sie mir böse, wenn ich Sie beim Rauskitzeln und Grübeln alleine lassen würde?"
"Ich will Sie nicht aufhalten, Mister Rainsbury. Haben Sie vielen Dank für Ihre Geduld und Kooperation. Bestimmt gelingt es mir auch ohne Sie, zum Kern der Dinge vordringen zu können."   
"Da bin ich guter Hoffnung, Inspektor Columbo."    
Der Detektiv ging Richtung Aufzug, drückte den Knopf und wartete. Der Aufzug kam und der Detektiv begab sich hinein. Die Tür schloss sich und öffnete sich wieder. Der Detektiv kam heraus, hob seinen Arm und rief:
"Ach, eine Sache noch, die habe ich vergessen! Wer hat außer Ihnen eigentlich noch Zugriff auf den Müll, der so in dieser Firma anfällt?"
Ein verdutzter Ausdruck um den Mund trübte Marcs zufriedenes Gesicht.
"Was soll denn diese Frage? Natürlich kann jeder einen Müllsack, der unten im Container liegt, öffnen. Aber wozu sollte man?"
"Ach, ich dachte nur wegen dem Zigarrenstummel. Wenn Mister van Zonbrooks die Wahrheit gesagt haben sollte und noch nie in Mister Handles Wagen gesessen hat, dann müsste theoretisch jemand den Stummel aus dem Müll gefischt haben, um ihn im Aschenbecher des Autos zu platzieren." 
Marc wiederholte sich:
"Ist mir völlig unbegreiflich, wozu jemand das tun sollte. Ist wohl wieder eine Ihrer albernen Ideen, was?"
Columbos Ton wurde einen Deut ernster:
"Der Stummel war da; den habe ich mir nicht aus der Luft gegriffen. Das ist, was wir einen Fakt nennen, der im Gegensatz zu einer Theorie mehr Gewicht hat als jede einzelne meiner albernen Ideen."    
Columbo winkte zum Abschied und damit verließ er nun doch im Aufzug die Etage.
Marc war für den Rest des Arbeitstages nicht zum Mitsummen der Melodien aus der Stereoanlage zumute.
 

KAPITEL 8
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Die Sonne war untergegangen, aber Columbo war noch im Dienst. Er saß auf der durchgesessenen Couch unter dem Schrägdach eines gewissen Daniel Whittle.
"Woher wissen Sie, dass ich mit Chris Handle befreundet bin, Inspektor?"
"Ihren Namen und Ihre Adresse gab mir seine Frau Regina. Die kennt alle Freunde ihres Mannes mit Namen. Machen Sie sich Sorgen um Ihren Kumpel? Seit Freitagnachmittag gibt es von ihm kein Lebenszeichen." 
"Es würde mich wirklich beruhigen zu wissen, dass es ihm gut geht. Wenn man so gar keine Ahnung hat, was mit ihm sein könnte... offenbar ist er nicht Opfer einer Entführung geworden, denn sonst hätte sich wohl ein Entführer mit einer Lösegeldforderung gemeldet." 
"Mister Whittle, Sie kennen Ihren Freund auf eine andere Weise gut als seine Frau ihn gut kennt. Erzählen Sie mir bitte von ihm und sich! Wissen Sie, ob Mister Handle Feinde hat, beziehungsweise hätten Sie vielleicht eine Idee, wer ihm irgendein Leid hätte zufügen wollen können? Regina hat darauf nämlich keine Antwort gewusst und ausgerechnet das könnte die Frage aller Fragen in diesem Fall sein."
Also überlegte sich Daniel Whittle seine Antwort gut:
"Natürlich hat jeder Mensch nicht nur Sympathisanten, aber ich wüsste niemanden, dessen kriminelle Natur ihn zu einem Verbrechen an Chris Handle verleiten könnte." 
"Und auch niemanden, der von seinem Tod profitieren könnte?"
Daniel war eine ehrliche Haut und gab freimütig zu:
"Da falle ich mir höchstens selber ein, Inspektor."
Columbo horchte auf.
"Wie meinen Sie das? Sie selbst hätten ein Motiv an welcher Art von Verbrechen?"
"Wenn Chris zum Beispiel tot wäre, würde ich seine Film- und Musiksammlung erben, übern Daumen gepeilt 2.000 DVDs und 18.000 CDs, LPs und Tonbänder sind in seinem Besitz, aus denen sich in seiner Familie niemand etwas macht."
Daniel deutete mit seinem Finger auf einen Kleiderschrank unter seinem Schrägdach.
"Sehen Sie diese fünf Aktenordner? Das sind meine Filmordner. Mit meiner Schreibmaschine tippe ich ganz old-school-mäßig zu allen Filmen, die ich auf DVD oder Video habe, ein Blatt mit allen wichtigen Daten zu den Schauspielern und der Produktionscrew, damit ich an deren Geburts- oder Todestagen mit einer entsprechenden Filmsichtung ihrer gedenken kann. Ich tippe auch die Daten zu den Weltpremieren, meinen Erstsichtungen, persönlichen DVD-Premieren und wissenswerte Besonderheiten ab. Ich formuliere auch eigene Filmbewertungen. Im Internet auf der internationalen Filmdatenbank lassen sich all diese Informationen ablesen. Und neben dem Schrank sehen Sie meinen Karton mit DVDs und dort hinten im Regal meine Musiksammlung. Chris findet meine Audio- und Cinephilie entzückend und meint, von meiner liebevollen Art, damit umzugehen, sollten sich andere Kunstkonsumenten mal eine Scheibe abschneiden. Chris gibt mir ab und zu neue Filmtipps, denn unsere Geschmäcker ähneln sich diesbezüglich. Wir sind beide Fans von alten Schwarz-Weiß-Krimis und haben in Sachen Musik einen unbegrenzten Geschmack, der so in alle Richtungen geht."
Columbo war dankbar, dass Daniel Whittle den Auftrag, von sich und Chris Handle zu erzählen, so gewissenhaft ausführte.
"Gibt es ein offizielles Dokument über die Information, dass Mister Handle Ihnen seine Sammlungen hinterlassen will?"
"Sie meinen ein Testament? Tatsächlich hat Chris vor noch nicht allzu langer Zeit eine relativ formlose Notiz gekritzelt mit Überschrift Letzter Wille und mit Datum und Unterschrift. Ich müsste sie irgendwo in meinen Unterlagen abgeheftet haben." 
"Sie würden mir schon einen Dienst erweisen, mir dieses Schriftstück einmal zu zeigen, wenn ich schon mal hier bin."
Daniel stand aus seinem Sessel auf und griff - stolz auf die Wertigkeit seiner Mithilfe - in ein in die Wand eingebautes Regal mit seinem Dokumentenordner.    
"Chris hat seinen Willen erst kürzlich zu meinen Gunsten geändert, denn da gibt es noch einen Musikfreund, von dem er mir erzählte. Marc heißt er, glaube ich. Seinen vollen Namen weiß ich leider nicht. Aber der hat auch so ein Testament von Chris, aber seins hat das ältere Datum und dürfte damit ungültig sein. Im Falle des Ablebens von Chris hätte ich mit meinem Papier vor einem Notar die besseren Chancen, seine komplette Sammlung zu erben, weil meins das jüngere Datum trägt. Nur wenn mir vor Chris' Tod selbst etwas zustoßen sollte, würde die Sammlung wieder an den früheren Haupterben fallen, steht da drin."
Columbo starrte nachdenklich auf das mit Holzplanken verzierte Schrägdach.
"Dann passen Sie mal gut auf sich auf, Daniel!" 
Columbos nächste Frage nach Feinden von Chris Handle konnte Daniel Whittle nicht beantworten. Columbo stand auf und verabschiedete sich, sichtlich dankbar für die Kooperation des Freundes.


KAPITEL 9
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Es war Mittwoch geworden. Seit fünf Tagen verweste nun schon Chris Handle im inzwischen fertigen weltweit ersten Müllstein, den Marc Rainsbury mittlerweile als Blickfang und Dekoration in eine Ecke seines Wohnzimmers verschoben hatte. 
Wie jeden Nachmittag unter der Woche fuhr er auch heute zur Arbeit. Das offiziell nicht bekannte Versterben seines Vorgesetzten hatte ihn nicht arbeitslos gemacht. Heute war die zweite Etage des Gebäudes fällig, geputzt zu werden. Marc pfiff vergnügt eine Melodie, als sich die Aufzugstür in seiner Sichtlinie öffnete und eine ihm inzwischen bekannte Gestalt herausstieg.  
"Falsche Etage, Inspektor! Sie wissen doch, das Arbeitszimmer Ihres Vermissten ist im dritten Stock!", rief Marc, jetzt wieder besser gelaunt als gestern nach Columbos doppeltem Abgang.
"Tag, Mister Rainsbury. Ich will auch noch zu Ihnen. Miss Joyce sagte mir, heute würde ich Sie in der zweiten Etage finden. Ich möchte Ihnen endlich die Musikkassette zurückgeben und Ihnen bei der Gelegenheit etwas in Mister Handles Büro zeigen. Hätten Sie kurz Zeit, Ihre Arbeit zu unterbrechen?"
"Für Sie immer ein paar Minuten. Wie hat Ihrer Frau die Musik zugesagt?"
Marc hatte erwartet, Columbo würde jetzt in höchsten Tönen von Mrs. Columbos Begeisterung für Caboria schwärmen. Stattdessen wich Columbo der Frage aus:
"Das werde ich Ihnen gleich verraten, noch eine Minute Geduld bitte." 
Zusammen mit Columbo fuhr Marc im Aufzug ein Stockwerk rauf und sie gingen nochmal ins Chefbüro. Columbo wollte es unbedacht mit seinen Schuhen betreten, aber Marc stoppte ihn pflichtbewusst:
"Auch heute gilt: Bitte Schuhe aus, Inspektor!"
Columbo griff sich an die Stirn.
"Ach ja, der weiße Schafswollteppich, verzeihen Sie, dass ich das vergessen konnte. Der soll ja nicht schmutzig werden, oder?"
"Nein, das soll er nicht! Überhaupt soll hier gar nichts schmutzig werden! Alles soll sauber sein und sauber bleiben."
"Aber wenn alles sauber bliebe, wären Sie doch arbeitslos, Mister Rainsbury. Das will ich ja auch nicht!", lachte Columbo gönnerisch, zog sich aber gehorsam nochmals seine Schuhe aus und stellte sie vor der Bürotür ab. Marc bedankte sich. Columbo und Marc betraten das Büro auf Socken. Marc fragte, was Columbo ihm denn nun zeigen wollte. In der Ecke am Fenster stand jenes undefinierbare Gestell aus einer senkrechten und waagerechten Eisenstange.
"Könnten Sie mir bitte in eigenen Worten dieses Kunstwerk erklären, Sir?" 
"Kein Problem, Inspektor Columbo. Chris nannte es das Balance-Kreuz. Hier oben am beweglichen Drehgelenk ist die waagerechte Stange anmontiert und an ihr befinden sich diese zahllosen kleinen waagerechten Eisenringe unterschiedlichen Durchmessers. Auf die Eisenringe werden verschieden kleine Eisenkügelchen so gelegt, dass jedes Kügelchen auf den Untersatz passt, ohne hindurch zu rutschen. Wenn alle Kügelchen sauber eingelegt sind, was sie normalerweise immer sind, dann ist das Balance-Kreuz im Gleichgewicht und trägt in jedem Ring eine Kugel. Und dieser perfekte, richtige Zustand der vollkommenen Ausgeglichenheit ist das Ästhetische, das Kunstwürdige an diesem Objekt. Deswegen liebte Chris das Werk und hatte es in sein Arbeitszimmer gestellt. Haben Sie dafür eine empfängliche Ecke in Ihrem Polizistengehirn offen?"
Columbo besah sich das Balance-Kreuz und musste feststellen:
"Ich finde das an und für sich auch ein gutes Kunstwerk, aber jetzt im Moment liegen die Kügelchen alle nicht drauf, und das stört mich doch sehr. Warum liegen sie nicht drauf?"
Wie ein Schuljunge, den die Lehrerin beim Schummeln erwischt hat, schaute Marc beschämt nach unten. Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten.
"Dafür muss ich Trottel die Verantwortung übernehmen, lieber Inspektor Columbo. Als ich neulich Chris' Arbeitszimmer reinigte, sollte ich auch das Balance-Kreuz abstauben. Dabei geriet es mir leider aus dem Gleichgewicht und alle Kügelchen fielen aus ihren Ringen."
Columbo begriff die Tragik in ihrem vollen Ausmaß und legte die linke Hand an die Wange:
"Ach, die liegen alle verteilt im Schafswollteppich? Du liebe Güte!" 
"Wenn Chris hoffentlich bald wieder auftaucht, wird er sich wahrscheinlich eine Stunde hinsetzen und alle Kügelchen erneut einzeln auflegen müssen. Obwohl... Inspektor Columbo, eigentlich könnten wir das jetzt zusammen für ihn machen, wo wir eh schon darüber reden, oder nicht? Sie helfen mir und erweisen Chris damit einen Ehrendienst."
Columbo windete sich krampfhaft um diese Arbeit.
"Ich sehe da wenig Erfolgschancen, Mister Rainsbury. Wenn man nur ein einziges Kügelchen nicht wiederfindet in diesem wolligen Gewusel, kommt das Kunstwerk womöglich nie wieder in Balance." 
"Na gut, dann lassen wir es. Vielleicht hat Chris einen Trick, einen Fingerkniff, wie es doch leichter geht."
Columbo streckte den Zeigefinger in die Luft und rief:
"Hat er tatsächlich, Sir! Seine Sekretärin, Miss Joyce, eröffnete mir, dass Mister Handle für solche Fälle einen kräftigen Stabmagneten in seinem Schreibtisch aufbewahrt, um damit alle Eisenkügelchen aufsammeln zu können. Dann pickt er sich die Kugeln einzeln vom Magneten herunter und setzt sie auf die Ringe auf." 
Marc lächelte froh.
"Na, wenn das so ist, können wir es doch auf diese Weise machen!"  
Columbo öffnete die Schreibtischschubladen.           
 "Geht leider nicht, weil der Magnet nicht im Schreibtisch liegt. Wo mag er sich wohl befinden?"
Ehrlicherweise gab Marc zu:
"Ich habe keinen blassen Schimmer."
"Ich hatte auch zuerst keinen, Sir. Aber dann schimpfte gestern Abend Mrs. Columbo mit mir."
Marc schüttelte verwirrt den Kopf.
"Bedaure, mir mangelt es an Einsicht über den Zusammenhang." 
Columbo war eifrig bestrebt, Marc zur Einsicht zu verhelfen.
"Ich werde versuchen, Ihnen den Ärger meiner Frau begreiflich zu machen. Kommen Sie bitte mit!" 
Columbo wusste schon, wo sich die Stereoanlage im Betrieb befand. Auf Socken verließen sie das Chefbüro. 
"Sehen Sie, Mister Rainsbury, deswegen wollte ich vorhin noch warten mit der Beantwortung Ihrer Frage nach der MusiCassette mit den frühen, raren Caboria-Demos. Als meine Frau nämlich die MC ins Kassettenfach am Küchenradio einlegte, bekam sie einen kleinen Schock."
Columbo zog das gute Stück aus seiner Mantelinnentasche. 
"Das hier ist Ihre Kassette, erkennen Sie sie wieder?"
Marc nickte selbstverständlich, sagte aber nichts. Columbo legte die Kassette ins Tape Deck des Hifi-Turms und drückte auf Play. Ein grausames, ungeordnetes Notengewirr erschallte, das Marc in den Ohren weh tat. 
"Was haben Sie mir denn da zurückgebracht?!", fuhr er Columbo entsetzt an. Columbo strahlte bis über beide Ohren.
"Grauenhaft, nicht wahr? Genau wie Sie jetzt reagierte Mrs. Columbo auch. Zuerst dachte ich, unser Abspielgerät sei hin, aber dann überzeugte ich mich mit einer anderen Kassette davon, dass es in Ordnung ist und dass der Fehler bei Ihrer Kassette liegen muss."
Marc war hilflos.
"Ich verstehe es noch immer nicht."
"Sie erinnern sich doch bestimmt, dass ich Ihre Kassette kurz auf Ihrem Müllstein abgelegt hatte, um zu demonstrieren, dass Ihr angeblich zweckfreier Müllstein prima als Regalersatz taugen würde."
Marc fing an zu begreifen, ließ es sich aber nicht anmerken:
"An letzten Freitagabend erinnere ich mich nur noch dunkel. Mein Blick ist permanent nach vorne gerichtet. Der Tag, von dem wir sprechen, liegt aber bereits hinter mir."
Columbo trumpfte auf.
"Aber Sie wissen, dass die Musik auf einem Kassettenband aufmagnetisiert ist, und dass die Magnetspur mit einem starken Magneten ruiniert werden kann. Genau das muss in dem Moment geschehen sein, als die Kassette auf dem Müllstein lag. Daraus schlussfolgere ich, dass sich in dem Müllstein ein starker Magnet befinden muss, der die Bandbeschichtung beeinflusst."
Marc unternahm einen Selbstrettungsversuch:
"Die geruchsdichte Valutect-Isolierfolie, die den Müll ummantelt, ist nicht magnetisch. Sie verlieren an Substanz, Columbo; Sie hatten auch vorher schon nicht viel davon."
"Ich wette, es ist Mister Handles verschwundener Stabmagnet aus seinem Schreibtisch. Ich verwette ein Monatsgehalt, dass Mister Handle ihn unsichtbar in der Tasche seines Anzugs verstaut hatte, weil er gerade im Begriff war, damit die Eisenkügelchen aufzusammeln, als er unterbrochen und fort gerufen wurde."
"Von wem fort gerufen?" 
"Ich bin mir ziemlich sicher: Von der Person, die ihn daraufhin ermordete, und die unbesehen den toten Körper in einen Müllsack packte, um ihn zu einem formschönen, ästhetischen Kunstwerk zu verarbeiten."
Marc war gar nicht angetan von dieser ungeheuerlichen Beschuldigung.
"Wozu um alles in der Welt sollte ich einen meiner besten Freunde umbringen und seine Leiche verstecken?", rief er ungehalten.
"Vielleicht, damit ein gewisser Daniel Whittle nicht erben kann, was Sie auch nicht erben. Wer offiziell noch lebt, hat nichts zu vererben. Sir, es liegt mir fern, Kunst vernichten zu wollen, aber ich muss Sie bitten, Ihren Müllstein der Polizei zu überlassen. Ich muss wissen, wer oder was sich unter der Oberfläche verbirgt. Möchten wir uns den Magneten im Jackett Ihres Freundes und Vorgesetzten nicht mal anschauen oder wollen Sie mir vielleicht freiwillig gestehen, dass mein grausamer Verdacht stimmt?" 
Marc senkte sein Haupt. Er begriff, dass Columbo ihm auf die Schliche gekommen war und dass er keine realistische Möglichkeit hatte, den in Kunst konservierten Beweis noch zu beseitigen. Selbstbemitleidend seufzte Marc:  
"Ich möchte im Boden versinken. Ich sehe mich vor einem Scherbenhaufen stehen, den ich selbst mit den besten Reinigungsmitteln nie wieder bodenrein kriege. Das also war mein Leben, wie ich es kannte. Es war wahrlich nicht alles schlecht!"
"Es wird auch in Zukunft nicht alles schlecht sein, Sir", tröstete Columbo den Niedergeschlagenen und klopfte ihm freundschaftlich auf die Schulter.
Zwei Polizeibeamte, mit denen Columbo sich abgesprochen hatte, entstiegen dem Aufzug und kamen in Richtung Büro gelaufen, um Marc über seine Rechte aufzuklären und ihn abzuführen. Columbo hatte ein Knie am Boden und half Marc wie ein Butler dabei, sich die Schnürsenkel zu binden. Als Marc schon in die Stadt gebracht worden war, kniete Columbo noch immer auf dem Schafswollteppich. Er hatte sich den Aschenbecher für Gäste von Chris Handles Schreibtisch genommen und sammelte darin nun mit einer Engelsgeduld die Eisenkügelchen vom Teppichboden ein.

_____
ENDE
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Registriert: Mi, 10.10.2018 16:07

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