von WalterJörgLangbein » Di, 14.07.2009 13:49
Das Testament
Kurzkrimi von Walter-Jörg Langbein
Der Brief vom Notar kommt für Fritz Rohwedder nicht unerwartet. „Opa August ist tot.“ sagte er, sein Mienenspiel beherrschend. „Er hat ein Testament gemacht; wir beide sind Alleinerben!“ Fritz Rohwedder, ein zur Schäbigkeit neigender Inhaber einer kleinen Lottoannahmestelle, fügt noch abfällig hinzu: „Unsereiner rackert sich ab und der Opa sammelt Vermögen !“
Sein Bruder Otto ist „Verkaufsleiter“ höchst zweifelhafter Kaffeefahrten, bei denen er mit Geschick Rentnerinnen für teures Geld billigen Ramsch verkauft. Er glaubt, widersprechen zu müssen: „Opa August war eben sein Leben lang sparsam.“ Sein „geizig“ geht im Räuspern des Notars unter. „Wenn Sie bitte eintreten möchten, meine Herren!“ Gespannt nehmen die beiden Erben gegenüber vom dickleibigen Notar Platz.
„Also, vorweg gesagt, ich kann Ihnen das Testament Ihres verstorbenen Herrn Großvaters noch nicht eröffnen. Da ist nämlich, so hat es ihr werter Großvater testamentarisch festgelegt, eine wichtige Bedingung zu erfüllen.“ Mit monotoner Stimme liest er vor: „Bevor mein im Zustand vollständiger geistiger Klarheit verfasster, von meinem Notar als den gesetzlichen Vorschriften entsprechender bestätigter testamentarischer letzter Wille verlesen werden darf, muss eine Bedingung erfüllt werden: Meine beiden Alleinerben müssen erst klar Schiff machen und mein gesamtes Mobiliar verkaufen.“
Der Notar nimmt die Brille ab. „Ihr Erbe können Sie erst nach Erfüllung dieser Bedingung antreten. Und ich darf Ihnen sagen, dass es um einiges Bargeld geht.“
„Dann wollen wir das schnell über die Bühne bringen!“ Fritz Rohwedder springt auf. Er ist nervös und leicht reizbar. „Augenblick noch!“ hält ihn der Notar zurück. „Ich benötige von Ihnen eine genaue Liste des Inventars der Wohnung Ihres verstorbenen Herrn Großvaters. Bringen Sie eine präzise Aufstellung all dessen, was Sie für wie viel Geld verkauft haben. Legen Sie mir diese vom Käufer oder von den Käufern unterschriebene Liste hier vor, dann kommt es zur Testamentseröffnung. Dann geht es....“ Fritz Rohwedder vollendet den Satz „ans Bare.“ Der Notar lächelt gequält.
Draußen vor der Tür des Notariats halten die beiden Enkel eine kurze Besprechung ab. „Wohin mit dem ganzen Krempel aus Opas Wohnung? Wer gibt dafür schon Geld?“
Fritz hat einen Einfall. „Du erinnerst dich doch an Rentner Krause, der diesen Prozess gegen mich verloren hat, weil ich seinen dusseligen Lottoschein verlegt hatte und der alte Knacker um einen Gewinn von 33 000 Mark gekommen war? Na, das Gericht hat ja damals den Krause abgewiesen. Der Vertrag mit der Lottogesellschaft gilt erst dann, wenn der Lottoschein bei der Zentrale vorliegt. Also pass auf!“
Keine halbe Stunde später halten Fritz und Otto Rohwedder vor der kleinen Wohnung von Karl Krause. Die bescheidene Wohnungseinrichtung von Opa August steht im Pferdetransporter von Otto. Viel ist es ja nicht: ein Schrank mit den Anzügen, muffigen Hemden, Unterwäsche, mit Bergen von schier unendlich langen Strümpfen aus Naturwolle. Da ist noch das Nachttischchen, ein Stuhl, eine bescheidene Ansammlung von Tellern, Tassen, Besteck, das vom sparsamen Opa seinerzeit vom Sperrmüll geholte Bett, der fleckige Regenmantel, die alte schäbige Bibel, ein Karton mit Briefen und sonstigem Beschriebenen, ein kleines Radio, Rasierapparat, Zahnbürste und Waschzeug. 63 Bände von Karl May, noch aus Vorkriegszeiten, zerlesen und äußerlich nicht mehr ansprechend. Dieser bescheidene Besitz soll nun dem Rentner Karl Krause verkauft werden.
„Und um Ihnen. lieber, werter Herr Krause, den Schaden mit der Lottosache, die mir wirklich schrecklich leid tut, wieder gut zu machen, möchte ich Ihnen eine Freude machen. Sie bekommen die gesamte Hinterlassenschaft aus der Wohnung von unserem Opa- nicht geschenkt, aber so gut wie...“ Enkel Fritz kommt ins Stottern. Die Erbschaft erwähnt er lieber nicht.
Otto hilft ihm aus der Verlegenheit. „Wir wollen ja nicht schlecht über unseren toten Opa reden, aber er hat nun einmal darauf geachtet, dass er sein Geld zusammenhielt. Und daher sind wir testamentarisch dazu verpflichtet, alles zu verkaufen. Eine Formsache. Sie bekommen alles...für...na, sagen wir eine Mark. Ein symbolischer Preis!“
Fritz nickt. „Rein symbolisch. Sie kannten ja unseren Opa August gut, waren Sie nicht mit ihm am gleichen Frontabschnitt im Ersten Weltkrieg? Und da meinen wir, verkaufen wir liebe Ihnen alles symbolisch für eine Mark als dass wir uns an einen Antiquitätenhändler wenden, der uns natürlich mehr bieten würde....“
Karl Krause ist gerührt. Er stimmt dankbar zu. Hastig tragen die beiden Erben das karge Mobiliar in Krauses Wohnung. Wenig später legen die beiden zufriedenen Männer dem Notar den besagten Kaufvertrag vor. Mit einer fahrigen Geste lädt er die beiden Erben ein, sich zu setzen. „Da ist ja alles genauestens aufgelistet, wie ich sehe, die einzige Bedingung für die Testamentseröffnung ist erfüllt.“ Knisternd löst der Notar das Siegel, entfaltet das Blatt.
„Bei der Vorbedingung handelt es sich um einen Test. Vorweg: Wie auch immer der Test ausgefallen sein mag, erhalten Fritz und Otto jeweils ein Sparbuch über DM 500.- Wie ich meine werten Enkel kenne, haben Sie meinen gesamten Besitz veräußert. Zu meiner Habe gehörten auch meine geliebten Karl-May-Bücher. Sollten meine werten Herren Enkel wider Erwarten die Karl-May-Bücher nicht verkauft haben, aus sentimentalen Gründen, weil sie wissen, wie ich an diesen Büchern mit ganzem Herzen hing, ist ihnen und vor allem Fritz verziehen. Wie oft hat er sich über meine Vorliebe für den großen Volksdichter deutscher Zunge Karl May lustig gemacht ! Fritz ist es auch gewesen, der mich nachts immer mit Anrufen weckte. Er hat seine Stimme verstellt, aber ich habe ihn erkannt. Er wusste, dass mein schwaches Herz darunter leiden würde. Die Daten und die Zeiten dieser Anrufe sind genau auf einem Blatt in einem der Karl-May-Bände notiert.“
Der Notar nahm das Testament wieder auf und las weiter: „Sollten die beiden Enkel wider Erwarten die Bände nicht veräußert haben, sollen sie mein in langen Jahren mühsam erspartes Vermögen in Höhe von 125 000 Mark erben und auch weiterhin Freude an den Karl-May-Büchern haben. Ich schätze aber meine Enkel anders ein. Dann fallen besagte 125 000 Mark an den Käufer meiner Karl-May-Bücher. Es soll der in den Genuss des Geldes kommen, der die Lektüre von Karl May mehr zu schätzen weiß als meine ehrenwerten Enkel, denen ich für das Leerräumen meiner Wohnung danke. Meine Aufzeichnungen über den Telefonterror meines Enkels Fritz wird er in dem Band ‘Satan und Ischariot’ finden und der Polizei weiterleiten.“
Der Notar sah von dem Blatt auf und blickte die beiden verdutzt dreinschauenden Erben durchdringend an. Fritz Rohwedder wich dem Blick aus und starrte auf seine Schuhspitzen.