Alfred Hitchcock wird als einer der größten Regisseure aller Zeiten bezeichnet. Seine Filme waren gekennzeichnet von hohem Tempo, nervenzerreißender Spannung und trockenem Humor. Er war das Vorbild unzähliger Regisseure, und er war der erste, der auf eine ganz spezielle Weise Spannung erzeugte. Die Frage ist nur: Wie?
Alfred Hitchcock-Perfektionist der Spannung
Übersicht
1. Handlungen
2. Wiederkehrende Bilder und ihre Bedeutungen
Absatz 1: Auf engem Raum/ in Häusern und auf Zügen
Absatz 2: Treppen(häuser)
Absatz 3: Abgründe
3. Anwendungen und Experimente
Absatz 1: Anwendung von Farbe und Rückprojektionen
Absatz 2: Anwendungen/Experimente mit Kamera/Schnitt
Absatz 3: Experimente mit Ton
1. Handlungen
Einer der beliebtesten Handlungsarten Hitchcocks war der Verlust von Identität. Ein normaler Mann wird irrtümlich für einen Verbrecher oder sogar Mörder gehalten und von der Polizei gejagt. Er muss seine Unschuld beweisen, was ihm zwar anfängliche Schwierigkeiten bereitet, doch schließlich überwältigt er es mit Mut und Aufrichtigkeit. Oft wird er von beiden Seiten gejagt; während er sich auf der Flucht vor der Polizei befindet, jagt ihn auf der anderen Seite meist der Täter. Eines der besten Beispiele dieser Art ist wohl „Die 39 Stufen“. In diesem Film wird Richard Hannay (Robert Donat) in eine Agentenangelegenheit verwickelt, indem er einer Agentin , von der er nicht weiß, dass sie eine ist, das Leben rettet. Diese wird später ermordet und man hält ihn für den Mörder. Gleichzeitig verfolgt er die Spur des Spionagerings weiter, die die Agentin angefangen hat. Dieses Handlungsschema findet man neben diesem Film in „Der Mieter“, „Saboteure“, „Der Fremde im Zug“, „Ich beichte“, „Über den Dächern von Nizza“, „Der Falsche Mann“, „Der unsichtbare Dritte“ und „Frenzy“. In diesen Filmen zeigt uns Hitchcock das eigentlich ganz normale und gewöhnliche Leben von Menschen und, wie es sich schlagartig verändert.
Außerdem das Prinzip der nur scheinbar unschuldigen Frau, die den männlichen Protagonisten an sich bindet, ihn zerstört oder von ihm gerettet wird. Diese Frauen sind zu finden in „Erpressung“, „Sabotage“, „Rebecca“, „Berüchtigt!“, „Vertigo“ und „Marnie“.
Und das Prinzip des meist psychopatischen Mörders. Dieser Typ ist in den Filmen „Im Schatten des Zweifels“, „Cocktail für eine Leiche“, „Das Fenster zum Hof“ und natürlich „Psycho“ zu finden. In manchen Filmen muss das Publikum zwangsläufig den Weg des Mörders mitverfolgen. Dies sind die Filme „Im Schatten des Zweifels“, „Die rote Lola“, „Bei Anruf: Mord“ und wieder „Psycho“.
2. Wiederkehrende Bilder und ihre Bedeutungen
Auch durch wiederkehrende Bilder haben die Hitchcock-Filme einen hohen Erkennungswert, auch wenn man das beim ersten Sehen wohl kaum bemerkt. Hitchcocks wiederkehrende Bilder haben alle ihre eigenen Bedeutungen. Das, und die Art, wie er sie filmt, macht sie so stark.
Sehr häufig findet man in Hitchcocks Filmen das Eingesperrtsein auf engstem Raum. Nicht nur Gefängniszellen, die in den Filmen „Der falsche Mann“ und „Frenzy“ vorkommen, sondern auch in Autos, wie in „Vertigo“, „Der unsichtbare Dritte“, „Psycho“, „Die Vögel und „Marnie“. In „Der unsichtbare Dritte“ wirkt die Autoszene besonders stark, da der Protagonist, mit dem wir uns identifizieren, im Auto zwischen zwei Entführern sitzt, sodass kaum Platz ist. Auf diese Weise schafft Hitchcock eine beklemmende und spannende Atmosphäre. Das Eingesperrtsein gibt es auch in Telefonzellen („Die Vögel“), Aufzügen (Wieder „Der unsichtbare Dritte“, und auch hier wieder sehr stark, da der Aufzug voll ist) und sogar Toiletten (wieder „Marnie). Die Toilette oder der Waschraum hat auch noch eine andere Bedeutung, denn sie ist meistens ein Ort, an dem der Protagonist oder ein Spion Geheimnisse entdeckt, so entdeckt Cary Grant im Bad eines Zugabteils in „Der unsichtbare Dritte“ einen kleinen Damenrasierer, und Andrè Deveraux entdeckt in „Topaz“ Mikrofilme In einem Buchvorsatz, als er Wasser drüberlaufen lässt- im Waschraum eines Flugzeugs.
Cary Grant und seine Entführer in "North by northwest"
James Stewart und Kim Novak in "Vertigo"
Sean Connery und Tippi Hedren in "Marnie"
Wer glaubt, dass im Gegensatz zu diesen Räumen, in denen der Zuschauer durch genaue Kameraperspektiven sozusagen mit „eingepresst“ wird, Häuser eher schützende Gebäude sind, der irrt. Diese enthalten nämlich meist Schrecken und Geheimnisse, und ihre Bewohner werden durch sie meist von der Außenwelt isoliert. Das wohl beste Beispiel dafür ist die Bates-Villa in „Psycho“. Norman Bates (Anthony Perkins) lebt dort völlig abgeschlossen von der Welt. Ein anderes gutes Beispiel ist Schloss Manderley in „Rebecca“. Auch Alexander Sebastian (Claude Rains) in „Berüchtigt“ lebt in seinem Haus trotz Partys und Feiern sehr isoliert, und für Alicia (Ingrid Bergman) ist sein Haus tatsächlich ein Ort des Schreckens. Weitere Häuser dieser Art kann man in den Filmen „Riffpiraten“, „Der Fall Paradin“, „Sklavin des Herzens“ und „Die Vögel“ finden.
Die Bates-Villa in "Psycho"- das Haus gibt es übrigens wirklich, es steht in Kent-Ohio
Auf Zügen herrscht ebenfalls eine sehr gedrückte Atmosphäre, vor allem, wenn der Protagonist sich zusammen mit dem Feind dort befindet, da er von einem Zug nicht fliehen kann. Solche Züge kann man in „Die 39 Stufen“, „Eine Dame verschwindet“, „Im Schatten des Zweifels“, „Der unsichtbare Dritte“ und natürlich in „Der Fremde im Zug“ finden.
Ebenfalls sehr häufig filmt Hitchcock Treppen als tiefe Seelenabgründe, und es kann lebensgefährlich, aber auch notwendig sein, die Stufen hinauf- oder hinabzusteigen. Ein gutes Beispiel dafür ist „Berüchtigt“, denn es gibt in dem Film zahlreiche wichtige Momente, die auf einer Treppe spielen. Treppen findet man auch in „Der Mieter“, „Nummer Siebzehn“, „Der Fremde im Zug“, „Vertigo“, „Psycho“, „Die Vögel“ und „Frenzy“.
Mit Abgründen visualisiert Hitchcock sehr stark den Verlust der Identität, den der Protagonist erleidet, durch den Verlust der Sicherheit. Gute Beispiele dafür sind „Saboteure“(Finale auf der Spitze der Freiheitsstatue), „Über den Dächern von Nizza“, „Der unsichtbare Dritte“(Finale auf dem Mt. Rushmore -Denkmal), doch das beste Beispiel ist und bleibt wohl „Vertigo“, wobei der Abgrund visuell hier wohl am stärkstem wirkt, durch einen speziellen Kameratrick: Eine Kamerafahrt nach vorn, kombiniert mit einem gleichzeitigem Zoom – out.
Robert Cummings und Norman Lloyd auf der Freiheitstatue in "Saboteure"
Cary Grant und Eva Marie Saint auf dem Mt.Rushmore-Denkmal in "Der unsichtbare Dritte"
3. „Blonde Frauen sind mysteriöser“
Wenn man sich einen Hitchcock-Film ansieht, erkennt man vieles. Wenn man sich mehrere ansieht, bemerkt man unter anderem, dass Hitchcock eine Schwäche für Blondinen hatte; Von Anny Ondra über Grace Kelly bis zu ‚Tippi’ Hedren. Oft ließ Hitchcock seine Blondinen in den Filmen mysteriös, erst unnahbar, dann jedoch von einer völlig neuen Seite zeigen. Anny Ondra darf wohl als erste Hitchcock-Blondine angesehen werden, in dem Stummfilm „The Manxman“(1928). Danach folgt noch ein zweiter Auftritt ihrerseits, in dem darauf folgendem Film „Erpressung“, in dem Hitchcock seine „mysteriöse Blondine“ weiter ausführte. Die Blondine steht manchmal auf der Seite des Protagonisten (siehe 1., Handlungen), manchmal jedoch auch nicht. Beispielsweise in „Vertigo“ verfolgt James Stewart im Auftrag seines Freundes dessen Frau, Madeleine, gespielt von Kim Novak; nicht etwa aus Eifersucht, sondern, weil ihr Mann denkt, sie könnte Suizid begehen. Während der langen Verfolgungsfahrten, aber auch Fußgänge versucht Stewart eine Erklärung dafür zu finden, warum sie sich so merkwürdig verhält und sich mehr und mehr einer Frau auf einem Porträt angleicht. Novak verhält sich sehr mysteriös, und das findet nicht nur Stewart, sondern auch das Publikum, das mit Stewart rätselt, sie sozusagen mitverfolgt.
Oder auch in „Über den Dächern von Nizza“: Cary Grant verbringt mit Grace Kelly und ihrer Mutter einen Abend, und Kelly verhält sich sehr kühl, unnahbar, abweisend, und Hitchcock fotografierte sie im Profil. Als Grant sie jedoch (ohne die Mutter) auf ihr Zimmer begleitet, küsst sie ihn. Grant findet das sehr verwunderlich, und das Publikum auch. Man erwartet alles mögliche, aber nicht das.
Und auch in „Der unsichtbare Dritte“ haben wir eine geheimnisvolle Blondine: Cary Grant ist auf der Flucht vor der Polizei, und sie hilft ihm; wie es aussieht, ohne Grund. Sie sagt der Polizei im Zug, dass er womöglich ausgestiegen ist, obwohl sie weiss, dass er sich in einem Abteil versteckt hat; sie versteckt ihn in ihrem Schlafwagen und belügt die Polizei, und weder Grant noch das Publikum wissen, warum eigentlich. Das Publikum erfährt den Grund noch vor Grant, was natürlich die Spannung aufbaut; mehr soll jedoch hier nicht verraten werden.
Es gibt noch viele weitere Beispiele; Hitchcock setzte seine Blondinen immer gezielt in Szene, was ihnen eine besondere Note, ja schon fast etwas animalisches verlieh.
4. Anwendungen und Experimente
Hitchcock verfügte über eine sichere Kameraführung. Nicht nur in Bezug auf Kameraschwenks/Fahrten, sondern auch auf Farbe, Schnitt und das gesamte Bild. Es folgen nun einige Beispiele, welche „Wunderwerke“ Hitchcock durch bestimmte Tricks erschaffen hat.
Farbe ist ein sehr bedeutendes Ausdrucksmittel in Hitchcocks Filmen. Schon drei Jahre vor seinem ersten Farbfilm, „Cocktail für eine Leiche“(1948) verwendete er Farbe am Ende seines Schwarzweißfilms „Ich kämpfe um dich“. In der Schlussszene, als sich der Doktor erschießt, intensiviert Hitchcock die Wirkung der Szene, indem er den Schuss rot einfärbt- vor allem nach einem gesamtem Film in Schwarzweiß ein sehr guter Effekt. „Vertigo“ ist ebenfalls ein sehr gutes Beispiel für die Farbverwendung, da er die Farben rot und grün dominieren lässt; die „rekonstruierte“ Madeleine ist in ein unwirkliches, blasses, grünes Licht getaucht, als sie aus dem Badezimmer tritt; und das wirkt nicht einmal unrealistisch, da an der Außenseite des Hotels eine grüne Neonreklame angebracht ist, die genau auf sie scheint. Ebenfalls lässt Hitchcock gleich mehrere Farben in die Traumsequenz einfügen, und als Judy angsterfüllt auf den Zuschauer blickt, wird das bild rot gefärbt. Rot verwendete Hitchcock auch in „Marnie“, um die Panikanfälle der Titelperson zu intensivieren. Und schließlich in „Die Vögel“ hat Hitchcock ein gesamtes Farbensystem, mit dem er die Themen Liebe(grün) und Tod(rot) visualisiert.
Rückprojektionen verwendete damals fast jeder Regisseur, und Hitchcock auch. Er lies sie jedoch auch sehr sichtbar als solche erkennen. Natürlich verstieß Hitchcock damit gegen die Erwartungshaltung der Zuschauer, die vom Film eine möglichst perfekte Illusion forderten. Die Zuschauer lachten über „Marnie“, als Tippi Hedren vor einem eindeutig künstlichem Hintergrund auf einem Pferd ritt, das entweder auch künstlich ist oder das Hitchcock auf ein Laufband stellte. Es ist aber wohl eher angebracht, zu erkennen, dass Rückprojektionen eher ein Ausdruck für Hitchcock sind und kein technischer Trick. Durch eine „schlechte“ Rückprojektion isoliert Hitchcock die Figur, hebt sie und ihre seelische Situation aus ihrem Umfeld hervor, wie in „Der unsichtbare Dritte“, „Die Vögel“, „Marnie“ und vielen mehr.
Eine sichere Kameraführung ist unabdingbar, wenn man eine gewisse Emotion oder anderes ausdrücken will. Und das schafft Hitchcock exzellent. Auch mit den Schnitten ging er sehr vorsichtig, sehr sorgsam um.
„Cocktail für eine Leiche“ von 1948, zugleich sein erster Farbfilm, war ein Experimentalfilm für Hitchcock, und gleichzeitig eine technische Revolution: Hitchcock war interessiert daran, einen Film ohne Schnitte zu drehen. Der Film sollte 80 Min. lang sein; damals konnte eine Kamera bis zu zehn Minuten aufnehmen, dann musste er schneiden und die Spule wechseln. Hitchcock improvisierte: Er tarnte seine Schnitte. Beispielsweise ließ er, wenn er die Spule wechseln musste, jemanden nah an der Kamera vorbeigehen, sodass das Bild für einen Moment dunkel wurde; das war der Moment, in dem er schnitt. Oder durch eine Großaufnahme, beispielsweise die einer Jacke, in der das Bild plötzlich merkwürdig dunkel wurde; auch da ein Schnitt. Hitchcock schaffte also nur 8 Schnitte in 80 Minuten- davon fünf versteckte. „Cocktail für Eine Leiche“ weckt den Eindruck, er sei in einer einzigen Einstellung gedreht. Schon elf Jahre vor diesem gelang Hitchcock 1937 in „Jung und unschuldig“ eine technische Meisterleistung: Das Mädchen sucht zusammen mit einem Obdachlosem einen Mörder, den letzterer kennt, in einem großen Saal. Der Mann hat ein nervöses Augenzucken. Zuerst sieht man die beiden an ihrem Tisch sitzen. Genau nach dem Satz „Es ist wirklich ein bisschen lächerlich, in diesem Getümmel nach einem Gesicht zu suchen mit einem Augentick.“ Platziert Hitchcock die Kamera ganz oben an der Decke und fährt mit ihr Zirka vierzig Meter durch den Saal, bis zu der Bühne, auf der die Schlagzeuger spielen. Dort fährt Hitchcock immer noch weiter, bis die Augen eines Schlagzeugers die ganze Leinwand ausfüllen; und dann zucken sie. Für diese Kamerafahrt brauchte Hitchcock einen Spezialkran und zwei Tage, um sie zu drehen.
Insgesamt muss man sagen, dass Hitchcocks Beherrschung der Kamera einzigartig ist; sie bereitet den Zuschauer auf etwas vor...oder sie führt ihn in die Irre.
Auch was den Ton betrifft, ist Hitchcock ein wahrer Meister. Hier einige Beispiele:
In seinem ersten Tonfilm, „Blackmail“, zugleich der erste britische Tonfilm, schafft er eine akustische Symbolik als Gegengewicht zur visuellen Ebene des Films- beispielsweise die Szene, in der das Wort „Messer“ in den Gedanken eines Mädchens wiederholt wird, das glaubt, einen Mord begangen zu haben. Oder in „Die 39 Stufen“ zeigt Hitchcock erst einen Frauenschrei und schneidet dann zu einer Lokomotive, deren Pfeife ähnlich klingt wie der Schrei. In „Frenzy“ bringt der Krawattenmörder eine Frau um. Später merkt er, dass besagte Frau seine Krawattennadel noch in der Hand hält; die Totenstarre ist allerdings schon eingetreten, und so bricht er ihr mit einem knackenden Geräusch die Finger. Später, in der Wohnung des Kommissars, der den Mord aufklären soll, bricht seine Frau Stangenbrot: Mit dem gleichen Geräusch. Und schließlich sollte man auch noch „Die Vögel“ nennen: Hier gibt es gar keine Filmmusik. Hitchcock schafft hier jedoch eindrucksvolle Geräusche, indem er mit elektronischen Geräten die Flügelschläge und Vogelschreie simuliert.
Szene aus "Die 39 Stufen", in der der Schnitt von einem Frauenschrei zu einer Lokomotive stattfindet.
Eine ähnliche Szene findet sich in "Jung und unschuldig", in der Hitchcock von (mehreren) Frauenschreien am Strand zu Möwengeschrei schneidet.