Im Grunde ist das Rezept, das dieser Folge zugrunde liegt, ja unglaublich einfach.
Sehr viele kriminalistische Zutaten muss man hier wirklich nicht addieren:
eine schrullige Mörderin, ein Autoschlüssel und die letzte Botschaft des Mordopfers.
Das ist nicht gerade üppig, und selbst als Columbo die gutgelaunte Abigail Mitchell kurz vor Anbruch der Schiffsreise wieder an Land bittet, werden wir mit keinem neuen Indiz überrascht:"Tja, es sind wieder diese Wagenschlüssel."
Da sieht man mal, was ein einziger Reflex für weitreichende Folgen haben kann. Denn es war doch wohl wirklich keine durchdachte Überlegung, dass die Krimi-Autorin die Autoschlüssel nach der Tat vom Tisch schnappte. Das Opfer war bereits im Tresor eingeschlossen, der Anwalt drängte, die Zeit war knapp...Selten sieht man bei "Columbo", dass ein Mörder plötzlich so in die Bredouille gerät.
Ich hab mich dabei ertappt, dass ich mich in dieser Szene selbst in die Rolle der Mörderin hineinversetzt habe.
Wie hätte ich reagiert???
Ich glaube, ich hätte den Schlüssel auch an mich genommen, eine Stress-Situation, der penibel konstruierte Mordplan wird durch ein unvorhersehbares Ereignis durchkreuzt. Da wird kluges Handeln auf einmal zum Glücksspiel.
Aber spätestens im Flugzeug hätte ich keine ruhige Minute mehr gehabt, weil mir klar geworden wäre, dass es die falsche Entscheidung war, die Schlüssel zu verstecken: Klar, die Polizei wird nach diesen Schlüsseln suchen.
"Alter schützt vor Morden nicht" zeigt im weiteren Verlauf ja vor allem eins:
Die verzweifelten Versuche einer Frau, eine spontane Fehlentscheidung wieder auszubügeln, allerdings reitet sie sich dabei immer tiefer ins Unglück: Sie buddelt im Sand rum, aber die Schlüssel wurden leider schon von ihrer erpressungs-geneigten Sekretärin gefunden;
dann platziert sie die Schlüssel in der Botanik, aber jetzt machen ihr die Polizeifotos einen Strich durch die Rechnung.
Eine Krimi-Autorin tritt bei ihrem wohl persönlichsten Mordfall wirklich von einem Fettnäpfchen ins nächste.
Ruth Gordon spielt ihre Trümpfe in dieser Rolle wirklich voll aus.
Das ist wie aus einem Guss, das macht richtig Spaß, dieser Frau zuzusehen
Wenn sie in der Wohnung des Mordopfers hinter Columbo hertippelt, werden wohl alle Erkenntnisse der Altersforschung über den Haufen geworfen. Das ist einfach nur umwerfend gut.
Da ist soviel infantile Energie in dieser zierlichen Person, dass man sich schon fragt, welche jungbleibenden Aufputschmittel ihr der Arzt ihres Vertrauens wohl verschrieben haben mag.
"Hollister" machte hier ja darauf aufmerksam, dass dieses weibliche Wunder der Gerontologie bereits 81 Jahre alt ist. Wahnsinn!
Ruth Gordon ist wahrlich keine Frau, die die Erfüllung ihres Lebensabends darin sieht, bei einer Dichterlesung im Altersheim geruhsam vor sich hin zu dämmern.
Nun ist es ja aber nicht nur Vitalität, sondern auch Sentimentalität, die sie in dieser Folge bereithält.
Abigail Mitchell trauert um ihre Nichte, deren Mann sie für einen Mörder hält.
Ruth Gordon beherrscht auch diesen Spagat perfekt: Albern-verspielt und im nächsten Moment ernst und verbittert, und in Gegenwart von Columbo oft auf die Mitleidsdrüse drückend.
Ganz groß: Für mich ist Ruth Gordon neben Donald Pleasance die eindringlichste Mörder-Figur der gesamten "Columbo"-Reihe.
Zudem ist die Überführung der Mörderin ungemein spannungsgeladen aufgebaut: Columbo lässt sich Zeit, betrachtet die Anordnung der Schubladen wie ein ungelöstes Puzzle, bis ihm schließlich ausgerechnet hinter einer ausgebrannten Glühbirne die Erleuchtung kommt.
Der Rest ist Schwelgen in zu Herzen gehenden Emotionen, untermalt von der wohl einfühlsamsten Musik, die je für eine "Columbo"-Folge geschrieben wurde.
Da muss ich mir nicht 4 Stunden "Doktor Schiwago" reinziehen, wenn ich hier den gleichen sentimentalen Kick in komprimierter Form genießen kann.
Fazit:
Diese Folge ist für mich ein unbestrittenes Highlight, eine Episode, die nachwirkt.
In meiner persönlichen Hitliste neben "Wein ist dicker als Blut" die beste "Columbo"-Folge überhaupt.
"Wollen wir Geschichten über die Armut austauschen?"
"Nicht in einem Rolls-Royce, Mam."
Tja, bei soviel kuscheliger Ironie hat man doch gar keine Lust, hier noch irgendwas zu bekritteln.
5 Punkte
(Smilie-Überbewertung)