COLUMBO: DER TOD HEILT ALLE WUNDEN
(Columbo: All Roads Lead Back To Murder)
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KAPITEL 1
Von seiner Richterbank herab sprach Staatsanwalt Gerald DiCenzo das Urteil der Geschworenen: "Dann verkünde ich im Namen des Volkes folgendes Juryurteil: Der Angeklagte Fabrice Holdstake wird freigesprochen."
Ein Raunen ging durch die Menge. Inspektor Columbo war nicht der einzige, der sich durch Beißen auf die Unterlippe einen Aufschrei verkneifen musste.
"Zur Begründung des Urteils ist Folgendes anzuführen: Die Geschworenen bezweifeln nicht, dass die Ermordete, Frau Dr. Madlyn Thornedge, am Freitag, dem 31. Januar 2025 in ihrer Praxis und der ihres Kollegen Dr. Ian Belford durch einen Stich mit einer Schere in ihren Hals um 10:52 A.M. zu Tode gekommen ist. Die Aussagen der beiden Augenzeugen sowie die Aussage des Angeklagten tun der Wahrheit genüge, dass der tödliche Stich durch die Hand des Beschuldigten Mr. Holdstake ausgeführt wurde. Und nun zum springenden Punkt: Die Jury kommt aber zu der Auffassung, dass zum Zeitpunkt der Tat..."
Jemand im Gerichtssaal nieste.
"Gesundheit!", wünschte Staatsanwalt DiCenzo mitten im Satz, "... dass zum Zeitpunkt der Tat der Angeklagte tatsächlich nicht die Kontrolle über seinen Körper haben konnte, da seine Psyche wie von den Augenzeugen beschrieben vollständig übernommen worden war, und zwar von Geoffrey Easterbrook, verstorben am 27.2.1975. Sämtliche Kollegen und Patienten von Dr. Ian Belford stimmen darin überein, dass seine Hypnosepraxis im Spezialbereich Rückführungen in vergangene Erdengänge unanfechtbare Belege für die Seriosität seiner psychotherapeutischen Leistungen aufweist. Laut Aktenlage war Geoffrey Easterbrook wahrhaftig ein von diesem Staat verurteilter Mörder, der einst seine Schwester mit einer Schere auf dieselbe Weise erstochen hatte. Das Geschworenengericht muss also davon ausgehen, dass der Beschuldigte Fabrice Holdstake mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die Wiedergeburt des Straftäters Easterbrook ist und durch Dr. Belfords Hypnose in jenen Schlüsselmoment seines früheren Lebens, in welchem er zum Mörder geworden war, zurückversetzt wurde und nach der Aufforderung von Dr. Belford, darüber zu sprechen, statt Worten Taten folgen ließ. Der Schuldige an der tragischen Ermordung von Frau Dr. Thornedge hat seine Strafe demnach schon vor über einem halben Jahrhundert abgebüßt und kann schwerlich nochmal als Reinkarnation zur Verantwortung herangezogen werden. Also, Mister Holdstake, es war zwar unstrittig Ihre Hand, aber es war dennoch nicht Ihre Tat. Es war Ihr Körper, aber nicht Ihre Seele und folglich nicht Ihre Person, deswegen musste ich das einstimmige Juryurteil bestätigen und Sie freisprechen, auch wenn nun niemand sonst als Quasi-Wiedergutmachung für den Verlust von Frau Dr. Thornedge in den Bau wandern muss."
Auf einem der hinteren Stühle im Gerichtssaal rutschte Inspektor Columbo unruhig hin und her und litt unter dem Rauchverbot. Das darf doch nicht wahr sein, dachte Columbo, die beiden listigen Scharadespieler kommen mit ihrem einzigartigen Komplott davon! Columbo hatte die Hypnoserückführung vom letzten Januar während der Verhandlung unverhohlen für eine Simulation gehalten, bei der Dr. Belford entweder als Anstifter oder als nützlicher Idiot beteiligt war. Der perfekte Mord vor Augenzeugen - dass das geplant war, meinte nur Columbo durchschauen zu können, und er ärgerte sich über die Leichtgläubigkeit der Geschworenen. Columbo bahnte sich seinen Weg zu ihm, als Staatsanwalt DiCenzo im Begriff war, den Gerichtssaal zu verlassen.
"Sir, eine Sekunde bitte!", hob Columbo seinen linken Arm.
"Was ist, Herr Inspektor? Ich habe jetzt Mittagspause."
"Haben Sie auch Folgendes bedacht, Mister DiCenzo? Wenn Fabrice Holdstake die Wiedergeburt des Mörders wäre, müsste er am 27.2.1975, an dessen Todestag den Körper gewechselt haben. Zur Welt kam Holdstake aber erst 1979."
"Das wurde doch während der Zeugenvernehmung erläutert. Vier Jahre im Limbo sind möglich", gab DiCenzo als Erklärung zur Antwort und entwischte.
"Oder ein Justizirrtum, den Sie einfach so durchgewunken haben!" rief Columbo nachtragend hinter ihm her und schlurfte langsam und gebeugt aus dem Sitzungssaal.
Auf dem Gang schüttelte Fabrice Holdstake seinem Anwalt strahlend und dankbar die Hand und wandte sich an den wartenden Dr. Ian Belford. Als sie weit genug entfernt von jeglichen Zuhörern waren, sprachen sie Klartext, Auge in Auge, denn die beiden Herren waren in etwa gleich groß, um die sechs Fuß hoch.
"Es hat wahrhaftig geklappt!", freute sich Fabrice, "Nicht einmal zu einer Geld- oder Bewährungsstrafe hat das Gericht mich verdonnert!"
Dr. Belford gratulierte seinem Patienten.
"In meiner psychotherapeutischen Karriere habe ich ganz normale Menschen - und die Geschworenen sind nichts anderes - schon die seltsamsten Vorkommnisse glauben machen können. Und in diesem Fall musste ich noch nicht mal lügen, weil meine Rückführungen tatsächlich funktionieren und kein Humbug sind, deswegen war ich keine Sekunde besorgt, das hier könnte in die Hose gehen. Ich bin nun mal >>der Doc<< und auf meine Diagnosen hört man."
Gemeinsam Seite an Seite gingen sie die Treppe zum Erdgeschoss herab.
"Doctor, werden Sie nun, nachdem ich Ihre Kollegin Madlyn für Sie unwiederbringlich beseitigt habe, Ihre Praxis Thornedge & Belford umbenennen in Praxis Belford und mit der Übernahme der Patienten Ihrer Partnerin doppelt so viel verdienen?"
"Dem steht nichts mehr im Wege, mein Freund, danke."
"Haben Sie Ihrem Patienten Derec Sloan auch ein Lohngeld gezahlt?"
"Sie meinen, weil Derec als die wahre Reinkarnation von Geoffrey Easterbrook mich erst auf diesen genialen Plan gebracht hat? Das wäre nicht sehr klug von mir, obwohl ich seiner früheren Identität natürlich dankbar sein kann."
"Zum Glück war Easterbrook aktenkundig und gerichtsbekannt. Haben Sie Ihren Bericht über Derec Sloans Rückführungssitzungen geschreddert?"
"Sicher. Schriftliche Belege dafür, dass nicht Sie, sondern er damals als Geoffrey Easterbrook gelebt hat, wird man in meinen Patientenakten niemals finden, Fabrice."
"Aber es gibt ja noch Ihren Bericht über MEINE ersten Rückführungen, aus dem hervorgeht, dass ich in den 70er Jahren als die Person Reginald Pullen gewirkt habe - etwas, woran Sie sich bei Ihrer Eidesleistung nicht erinnern wollten."
"Diesen Bericht habe ich selbstverständlich ebenfalls sofort geschreddert und speziell für diese Witzfigur Columbo den falschen Bericht verfasst, damit der Inspektor uns nichts nachweisen konnte. Und darum haben wir ja auch den Prozess gewonnen. Ich sage >>wir<<, weil wir ja beide heute Grund zum Jubeln haben, auch wenn Sie allein auf der Anklagebank saßen." Fabrice ließ sein Lächeln verschwinden und sein Gesichtsausdruck wurde definierter und ernster.
"Ich habe den Originalbericht über mich noch daheim, Doktor Belford."
Der Doktor blieb verdutzt auf der zweituntersten Treppenstufe stehen.
"Wie dumm von Ihnen, Fab! Wenn der Bericht bei einem Durchsuchungsbefehl gefunden worden wäre, wären Sie jetzt vielleicht kein freier Mann. Und warum, wenn ich fragen darf, haben Sie den Bericht nicht längst vernichtet?"
Holdstake grinste:
"Vielleicht werde ich eines Tages ein anständiger Mensch und breche unter der Last meines Gewissens zusammen. Wenn mir dann kein Bulle mein Geständnis glauben mag und mir das heutige Urteil vorhält, dann kann ich ihm mein Exemplar Ihrer Diagnose über mich unter die Nase reiben - mit Datum und Ihrer Unterschrift. Dann wird der Betrug aufgedeckt und Sie können Ihre Praxis dicht machen. Vielleicht würden wir uns sogar eine Zelle im Gefängnis teilen."
Sie durchschritten die Eingangshalle und verließen das Gebäude. Dr. Belfords Strahlen hatte sich verflüchtigt.
"Warum reden Sie so an einem solchen Erfolgstag, Fab? Ich verstehe es nicht."
"Weil ich bereit bin, Ihnen mein Exemplar des Originalberichts zum Zerschreddern auszuhändigen, Doc... gegen eine für Ihre Lebensverhältnisse bescheidene Summe."
"Von wie viel Dollar?", fragte Dr. Belford streng.
"Fünfhunderttausend. Das ist doch nicht zu habgierig, oder?"
Mit einem Blick, der Respekt missen ließ, starrte Belford Holdstake kalt und prüfend in die Augen.
"Meine neue Diagnose Ihres Geisteszustands lautet auf autodestruktiven Moralkomplex. Kein vernünftiger Mensch gibt einem solchen nach."
"Es wird ja nicht dazu kommen, Doc, weil Sie ohne groß zu zögern bezahlen werden. Meine Adresse haben Sie. Heute um eine Stunde vor Mitternacht können Sie unbeobachtet bei mir aufkreuzen und mir die halbe Mille übergeben im Austausch gegen das Dokument."
"Ja und woher weiß ich, dass Sie von dem lukrativen Beweisstück nicht eine heimliche Fotokopie für alle Fälle behalten?"
"Bringen Sie mich doch nicht auf solch clevere Ideen!", grinste Holdstake, stieg als freier Mann in seinen Wagen auf dem Parkplatz und winkte im Fortfahren aus dem offenen Seitenfenster.
"Diesen Erpressungsversuch werden Sie noch bereuen!", drohte Belford ihm, aber zu leise, als dass Holdstake es hätte hören können.
KAPITEL 2
Derec Sloan war ein kurzgewachsener, fülliger Mann in seinen Vierziger Jahren. Er hatte zeit seines Lebens nie Glück, war schon in armen Verhältnissen zur Welt gekommen, war auf die schiefe Bahn geraten, saß wegen Einbruchs und Körperverletzung im Knast, und war nach seiner Entlassung bei mehreren Psychotherapeuten in Behandlung. Die Hand des Henkers von Dr. Madlyn Thornedge zu werden, dazu hatte Dr. Ian Belford seinen Patienten Derec Sloan nicht bestechen können. Während Belford nun in seinem dunkelroten Mercedes Benz zu Derecs billigem Apartment fuhr, malte er sich aus, wie es wäre, wenn er Derec dazu überreden könnte, ihm wenigstens ein astreines Alibi zu verschaffen. Überrascht öffnete Derec im Unterhemd die Wohnungstür.
"Nanu, Doktor Belford? Was stören Sie mich denn in meinem Alltagsalptraum hier bei mir daheim, so ganz unangemeldet?"
"Derec!", strahlte der Doc, "Guten Tag. Ich wollte mich nur mal kurz erkundigen, wie es Ihnen jetzt geht, und auch, was Sie mit dem Geld gemacht haben. Ich bin einfach neugierig." "Geld?", tat Derec ahnungslos, bat den Doktor aber herein, damit nicht Leute im Treppenhaus das Gespräch mithören konnten. Belford holte zur Erklärung aus:
"Die 10.000 Dollar, die ich Ihnen gab, damit Sie nach dem Tod meiner Praxiskollegin nicht zur Polizei gehen und nicht verraten, dass sie auf exakt dieselbe Art ermordet wurde, die ich vorher mit Ihnen durchplanen wollte."
"Ach, dieses Schweigegeld! Das habe ich noch nicht verprasst. Wie steht es um Ihren Gerichtsprozess?"
"So ein Zufall, dass Sie danach fragen, Derec, denn eben vorhin vor einer Stunde fiel das Urteil der Geschworenen. Freispruch für meinen Patienten!"
"Sie meinen, für Ihren Komplizen."
"Sagen Sie, Derec, möchten Sie sich nochmal zehn Riesen verdienen für einen weiteren Gefallen? Ich könnte Ihnen den Neustart in einer anderen Stadt in einem anderen Land finanzieren, das wollten Sie doch!"
"Ja, ich liebäugele mehr und mehr mit Tijuana, Mexico", träumte Sloan vor sich hin.
"Hören Sie zu, Derec, mein Freund! Ich habe einen christlichen Patienten, für den das Leben zur Hölle geworden ist, seit er dank meiner Rückführung weiß, dass seine Seele unsterblich ist. Er will raus aus seiner Haut und schnellstmöglich reinkarnieren. Er glaubt aber, Selbstmord sei eine Todsünde, die seine Seele zum Teufel entsenden würde und wofür ihm nie vergeben werden könne. Er gab mir 40.000 $ und bettelte: >>Erlösen Sie mich, Dr. Belford, befreien Sie meine Seele von diesem verfluchten Körper!<< Ich zeigte mich barmherzig und versprach ihm, ihn diese Woche zu seinem Schöpfer heimkehren zu lassen. Der Tod soll ihm alle Wunden heilen."
Skeptisch kniff Derec sein rechtes Auge halb zu.
"Aber ist Tötung auf Verlangen nicht auch ein Straftatbestand?"
"Doch, Derec, ist es. Deswegen brauche ich ja Ihre Unterstützung. Ich muss es wieder ganz ausgebufft anstellen."
Derec wehrte energisch ab:
"Es bleibt dabei, dass ich niemanden umbringe oder wie Sie es nennen >>erlöse<<, für kein Geld der Welt, nicht für mich selber und erst recht nicht für jemanden, der mir den Auftrag erteilt. Bitte suchen Sie sich für Ihre Schmutzarbeit jemanden, der Ihr Geld nötiger hat als ich!"
Belford ließ nicht locker:
"Aber, aber, Derec, ein Missverständnis! Ich kenne doch inzwischen Ihre Prinzipien. Ich weiß, dass Sie keinen Mord begehen würden. Das sollen Sie auch gar nicht. Mein Plan sieht so aus, dass ich für meinen christlichen Patienten selbst die Erlösung von allem irdischen Leid vornehme. Für Sie bleibt nur die Arbeit, die Sie früher sowieso schon mal gemacht haben: Einbruch."
Derec war verwirrt.
"Das verstehe ich nicht."
"Ziehen Sie sich bitte was Vernünftiges an, Derec, und kommen Sie mit mir zu meinem Wagen! Zunächst einmal müssen Sie mich zu Kenneth Kingsley's Coin Shop begleiten. Ich muss mit dem Inhaber des Geschäfts, bei dem ich als alter Münzsammler Stammkunde bin, sprechen."
"Und was soll ich arme Sau da?", fragte Derec zurecht.
"Sie sollen Mister Kingsley nur ablenken, damit ich unbemerkt meine Fingerabdrücke auf seinen Wertsachen hinterlassen kann. Ich erkläre Ihnen alles unterwegs, ziehen Sie sich um!"
Dr. Belfords dunkelroter Mercedes fuhr eine halbe Stunde später bei Kingsley's Coin Shop vor, und aus stiegen Ian Belford und Derec Sloan. Belford betrat das Münzgeschäft alleine. "Münzen wegnehmen streng verboten" stand als naiv-drollige Aufschrift auf den Glasvitrinen.
"Kundschaft!" rief er, und Kenneth Kingsley trat aus dem Nebenraum.
"Der Doktor Belford!", erkannte Kingsley seinen Kunden.
"Lassen Sie mich raten, Doc, Sie kommen wegen der antiken römischen Denarii."
"Wenn Sie die inzwischen im Sortiment haben, Kenneth...", lächelte Belford geschäftlich.
"Habe ich! Jetzt müssen wir uns nur noch über den Preis unterhalten."
"Wunderbar! Dürfte ich um eine Sichtprobe bitten?"
"Sofort und gerne. Brauchen Sie ein Vergrößerungsglas?"
Kingsley händigte Belford eine Lupe aus, griff unter seinen Verkaufstisch und holte ein verschließbares Münzetui hervor. Er schloss es auf und legte drei der acht darin befindlichen Sammlerstücke auf den Tisch. Belford besah sie sich in Ruhe mit der Lupe.
"Mmmh, ja, die hätte ich schon gerne. Was wollen Sie für den einzelnen Denar haben?"
"Nun ja, mein Herr, Sie wissen, die stammen aus der Epoche des Zweiten Punischen Kriegs vor 2200 Jahren..."
"...und kosten deswegen ein wie großes Vermögen?"
In diesem Moment betrat Derec Sloan den Laden und ergriff sogleich das Wort:
"Tach, ich interessiere mich für das viktorianische England und suche Münzen aus dieser schönen Epoche, haben Sie da welche?"
Kingsley beantwortete noch Dr. Belfords Frage:
"Ich gebe Ihnen einen Denar für 15.000 oder drei Denarii für 40.000 oder alle acht für 100.000, ist das ein Deal? Denken Sie darüber nach, während ich mich diesem neuen Kunden zuwende."
Kingsley verließ seinen Standort hinter dem Tisch und führte Sloan an einen Schaukasten.
"Münzen mit Queen Victoria auf der Rückseite finden Sie bei mir Dutzende. Welche Preisklasse schwebt Ihnen vor, mein Herr?"
"Die Königin von damals interessiert mich weniger, die ist ja tot. Es geht mir um das Jahrhundert an sich, denn das lebt in meinem Herzen."
Dr. Belford lauschte den Stimmen. Als er sich sicher sein konnte, dass der Händler mit dem Rücken zu ihm stand, lehnte Belford sich über den Tisch und langte in das Etui mit den acht Denarii. Er presste seine rechte Hand gegen die glatt polierte Innenseite des Etuis und zog sie wieder heraus. Dann betrachtete er weiter die drei Münzen auf dem Tisch, bis der Verkäufer sich ihm wieder zuwandte. Belford witzelte:
"Kümmern Sie sich ruhig intensiv um Ihren verirrten Kunden, Mr. Kingsley! In der Zeit kann ich mir unbemerkt einen Schatz aus der Schatulle grabschen."
Kingsley warf prüfend einen Blick in das Etui und sah fünf darin und drei auf dem Tisch.
"Das würde ich Ihnen erstens nicht zutrauen und das wäre Ihnen zweitens auch nicht gelungen, Doktor. Die Anzahl meiner Kostbarkeiten habe ich im Überblick."
Belford scherzte:
"Dann habe ich Glück, dass ich der Versuchung widerstehen konnte. 15.000 pro Denar ist mir nämlich zu teuer und mehr als einen wollte ich nicht kaufen, also erübrigt sich auch der Mengenrabatt."
"Schade. Vielleicht an einem zukünftigen Tag..."
Kingsley nahm die drei Denarii vom Tisch und packte sie wieder ins Etui.
"Ja, man braucht immer noch ein paar Ziele", stimmte Belford zu, drehte sich zur Ausgangstür und sagte auf Wiedersehen. Nun hatte Kenneth Kingsley Zeit, sich mit Derec Sloan zu befassen.
"Schwebt Ihnen eine bestimmte viktorianische Münze vor, mein Herr? Legen Sie Wert auf Seltenheit oder auf Reinheit?"
Derec, der seinen Dienst bereits getan hatte, wimmelte sich selber ab:
"Ich bin damit überfragt. Ich denke, ich werde mir erstmal darüber klar werden müssen, was ich eigentlich will, und komme wieder, sobald ich ein bisschen mehr Expertise, Geld, Luft und Zeit habe. Es wird schön für mich sein, Sie dann wiederzusehen. Genehmigen Sie sich einen angenehmen Feierabend!"
Damit verließ auch der zweite Kunde ohne Einkauf Kingsley's Coin Shop. In sicherer Entfernung hatte Dr. Belford seinen dunkelroten Mercedes Benz geparkt, in den Sloan wieder einstieg. Der Doc fuhr an.
"Haben Sie sich die Münze, die Sie wollten, nicht unter den Nagel reißen können, Doktor?", fragte ihn sein Beifahrer.
"Ich konnte sie nur ansehen, Derec. Stehlen werden Sie sie für mich heute Abend, wenn Sie die 10.000 $ wollen."
"Erklären Sie mir mal genau, auf welche Weise ich Ihnen da helfen kann!"
"Ihren Führerschein haben Sie doch noch und er ist noch gültig?"
"Ja, warum?"
"Sie müssen heute Abend meinen Wagen fahren."
KAPITEL 3
Um 10:45 P.M. an diesem Abend erlebte der Hypnosearzt Dr. Ian Belford, wie kalt es einem werden kann, wenn man im Dunkeln einen Ford Mustang ohne Verdeck zu fahren gezwungen ist, weil man seinen Erstwagen verliehen hat. Er fuhr zu Fabrice Holdstakes Haus und parkte sein gelbes Cabrio in sicherer Entfernung, um nicht von eventuell spät spazieren gehenden Nachbarn beim Aus- oder Einsteigen bemerkt werden zu können. Er stieg aus und lief den Rest zu Fuß, wobei er auf seine goldene Armbanduhr schaute.
"10:53 - noch sieben Minuten Zeit. Feinde soll man nicht warten lassen", murmelte er zu sich selbst. Unbeobachtet näherte er sich Holdstakes Anwesen, schellte an der Tür und wurde von dem vornehm gekleideten Hausherrn wohlwollend hereingebeten.
"Ihr pünktliches Erscheinen spricht dafür, dass Sie zahlungswillig sind, Doktor. Geben Sie mir das Geld bitte sofort; ich bin müde, der erfolgreiche Tag war lang."
Belford wollte die Sache auf seine Weise erledigt sehen:
"Ich gebe es Ihnen nicht so einfach in die Hand; das ist unter meiner Würde. Sie werden es sich selbst nehmen wie ein Dieb und nicht überreicht bekommen wie jemand, der es sich redlich verdient hat."
Fabrice Holdstake nickte einverstanden und fragte, wo das Geld ist.
"Es liegt einen Block weiter in meinem geparkten Zweitwagen, den Sie noch nie gesehen haben. Überreichen Sie mir Ihren Bericht mit meiner Rückführungsdiagnose, dann führe ich Sie zurück zu dem Parkplatz, von dem ich gekommen bin, und zeige Ihnen, welches mein Auto ist. Sie können sich dann Ihre Kohle darin suchen und sie herausholen."
Holdstake forderte:
"Aber ich halte den Bericht so lange bei mir in den Händen, bis ich das Geld gefunden habe!"
"Nichts dagegen. Holen Sie ihn!"
Der Hausherr öffnete eine Schranktür im Bürozimmer und griff über die Aktenordner, die den oberen Teil des Innenraums vereinnahmten. In der unteren Hälfte ragten zwei Golfschläger aus einer Sporttasche hervor.
"Oh, Sie spielen auch Golf, Fab?", staunte Dr. Belford.
"In der warmen Jahreshälfte alle paar Wochen."
"Ich ebenso. Da könnten wir uns doch mal zum Golfen verabreden. Man vergisst seine Sorgen und Differenzen so schön, wenn man Golf spielt."
"Woran mag das liegen, Herr Psychodoktor?"
Dieser ergriff einen der beiden Golfschläger, beugte sich etwas aus dem Stand herab, so als wollte Belford einen Ball fort schlagen. Dabei sprach er gelassen:
"Das liegt daran, dass man sich während eines Golfspiels vom Alltag abgelenkt im kindlichen Kampfmodus befindet und nur den einen Wunsch verspürt, ..."
Als Holdstake sich zum Fortgang bereit umdrehte, holte Belford wie zum Abschlag weit aus und erhob auch seine Stimme.
"... seinen Gegner zu schlagen!"
Die Schlagfläche prallte gewaltsam an Fabrice Holdstakes Hinterkopf auf und vollzog eine vollständige Bogenbahn. Als Konsequenz dieses Kontakts sackte der Geschlagene wortlos in sich zusammen.
"Ist es nicht ein majestätisches Gefühl, wenn der große Gleichmacher nach einem greift und alle Wunden des Lebens heilen lässt?", fragte der Doc seinen ehemaligen Patienten und erhielt keine Antwort mehr. Als Fabrice Holdstake zehn Sekunden sprach- und regungslos auf dem Teppichboden lag, betrachtete Dr. Belford zufrieden das Werk, das er angerichtet hatte, und wischte seine Fingerabdrücke von Haltegriff und Stange des Golfschlägers, bevor er diesen unauffällig an seinen Platz zurück steckte. Er kniete sich nieder und fühlte den zum Stillstand gekommenen Puls.
Zur selben Minute, eine halbe Autostunde entfernt am anderen Ende von Los Angeles, fummelte eine behandschuhte Hand an einer Alarmanlage herum. Es war die Hand von Derec Sloan, der auf eine Leiter gestiegen war, welche er im Kofferraum von Dr. Belfords dunkelrotem Mercedes mitgebracht hatte, den er auf der Wiese hinter dem Münzshop vor der Rückwand des Gebäudes abgestellt hatte, um von der Straße aus nicht beobachtet werden zu können. Die Alarmanlage gehörte zu Kingsley's Coin Shop. Als die Fummelei beendet war, stieg Sloan vorsichtig die Leiter herunter und holte einen Glasschneider aus seiner Jackentasche, mit dem er einen Kreis in die Fensterscheibe ritzte, um lautlos das Glas derart beschädigen zu können, dass sein Arm hindurchgreifen konnte, um von innen mit dem Fenstergriff das Fenster öffnen zu können. Sloan stieg in den Laden ein und begab sich an das Pult des Verkäufers.
Derweil hatte Dr. Ian Belford das Verwischen seiner Spuren im Haus von Fabrice Holdstake beendet, hatte den verräterischen Patientenbericht an sich genommen und war durch die Haustür entwischt, die er sperrangelweit offen ließ, damit die Leiche so bald wie möglich gefunden werden konnte. Er startete seinen gelben Ford Mustang und fuhr nach Hause, wo er warten wollte, bis Derec Sloan mit den Münzen aufkreuzte.
"Ein Einbrecher!", rief Kenneth Kingsley perplex und verschlafen, als der schrille Ton seiner Alarmanlage seinen nächtlichen Traum zerfetzte und ihn aus dem Bett im Erdgeschoss klingelte. Er lief sofort im Pyjama ans Schlafzimmerfenster, wo das Telefon stand. Dabei konnte er nicht verhindern, mit anzusehen, wie der Einbrecher zum geparkten Mercedes lief und einstieg. Kingsley rief ihm zu:
"Du elendiger Gauner! Bleib hier, lass uns reden, dann rufe ich vielleicht keine Bullen!"
Aber durch den Radau seiner Lärmanlage war Kingsleys Gebrüll nicht zu verstehen. So sah er machtlos zu, wie der Wagen davonfuhr. Zu dunkel war es, um aus der Entfernung das Kennzeichen erfassen zu können. Als nächstes griff der Münzhändler zum Telefon.
Sergeant Bickfield wurde eine Minute später zum Tatort beordert, wo er zehn Minuten später eintraf, doch eine Stehleiter hinderte ihn am Betreten des Münzgeschäfts. Gefragt, wie die dahin käme, antwortete Kenneth Kingsley:
"Die muss der Räuber in seinem roten Mercedes mitgebracht haben, um fachmännisch den Alarm zu überbrücken. Deswegen hatte er auch die Zeit, mehrere Münzetuis aufzubrechen, bis er gefunden hatte, was er stehlen wollte."
Sgt. Bickfield hatte die Lage noch nicht vollends durchschaut:
"Aber warum ist dann beim Verlassen Ihres Shops der überbrückte Alarm doch noch ausgelöst worden?"
Ein Schweigemoment.
"Da bin ich überfragt. Vielleicht war er ein Amateur, der einen Fehler gemacht hat. Ich kann ihm jedenfalls dankbar sein, dass er nicht alle meine Kostbarkeiten abgeräumt hat."
Der Sergeant zückte seinen Notizblock.
"Was wurde Ihnen gestohlen? Ich benötige eine Auflistung."
"Soweit ich es bisher überblicken kann, hat der Mistkerl lediglich meine römischen Denarii mitgehen lassen, und ausgerechnet die hatte ich heute Nachmittag jemandem, der daran interessiert war und dem sie zu teuer waren, gezeigt. Ich weiß nicht, ob das ein Zufall ist."
Ahnend, dass das was zu bedeuten hatte, horchte Bickfield auf und hakte nach:
"Wem haben Sie sie gezeigt, Sir? Kennen Sie seinen Namen?"
"Schön, Sie zu sehen, Derec!", freute sich Dr. Belford, der vor seiner Garage auf Sloan gewartet hatte, als dieser den gelben Ford Mustang neben dem dunkelroten Mercedes Benz in der breiten Garage abstellte und ausstieg.
"Na, Doktor, haben Sie Ihren christlichen Patienten von seinem Erdenleid erlöst?"
"Allerdings. Er trank meinen Zyankali-Cocktail und schlief schmerzfrei für immer ein. Haben Sie die römischen Münzen oder ging etwas schief?"
Umständlich mit seinem dicken Lederhandschuh zog Sloan aus seiner Jackentasche die Beute.
"Hier bitte, acht Andenken an die Antike, alles was in der Schatulle war und mehr als ein normales Sammlerherz begehren darf."
Obwohl im Dunkeln seiner Garage versteckt, strahlte Belford über beide Ohren.
"Sie sind immer noch ein Profi, Derec, klasse! Die Resozialisierung während Ihrer Haft konnte Ihnen nicht Ihre Kompetenz aberziehen. Hat Mister Kingsley Sie gesehen? Oder zumindest meinen Wagen? Oder hat er den Raub verpennt und wird ihn morgen keiner genauen Uhrzeit zuordnen können? Dann wäre mein mit Ihrer Hilfe gebasteltes Alibi wertlos."
"Der Alarm hat ihn aufgeweckt. Es war genau zehn Minuten nach elf, als er aus seinem Schlafzimmer plärrte, während ich wegrannte. Die Leiter ließ ich stehen. Darauf sind ja auch Ihre Fingerabdrücke. Dürfte ich um meine 10 Riesen bitten?"
Belford nahm die Münzen an sich, zahlte Sloan den Verdienst aus und schickte seinen dankbaren Komplizen selber voller Dankbarkeit nach Hause.
"Mir wäre lieb, dass Sie besser morgen als übermorgen die Stadt verlassen, um nicht mit dem Raub oder mit mir in Berührung zu kommen, sobald die Polizei zu ermitteln beginnt. Wir sehen uns hier und jetzt zum letzten Mal, Derec."
"So hopplahopp kann ich nicht mein neues Leben in Mexico antreten, aber ich verspreche Ihnen, dass ich mich schon morgen darum kümmern werde. Leben Sie wohl, Doktor!"
Doch Sloan hatte im Umdrehen noch über eine Unklarheit zu klagen. Das erinnerte Belford an diesen Detektiv, diesen Columbo, der mit dem Mordfall Madlyn Thornedge betraut worden war und den er am Vormittag beim Gerichtsprozess gesehen hatte. Sloan fragte:
"Sie sind der erste Dieb, den ich kenne, der mit seinem Raub unbedingt in Verbindung gebracht werden will. Ich kann Ihren Plan einfach nicht raffiniert finden. Erklären Sie einem Trottel wie mir nochmal, was das eigentlich sollte?"
Belford führte also aus:
"Sterbehilfe zu leisten ist ein Delikt, das sich ein praktizierender Arzt in Kalifornien nicht erlauben kann. Wenn man mir nur Münzraub nachweisen kann, wird das keine gravierenden Konsequenzen für meine Arbeit nach sich ziehen. Eine hohe Geldstrafe plus Bewährungsfrist wären eindeutig das geringere Übel."
"Jetzt verstehe ich. Clever!", zeigte sich Sloan zufrieden und verschwand mit seinen 10.000 $ im Dunkel der Nacht und hoffentlich aus Belfords Leben.
KAPITEL 4
Um drei Uhr früh erschien ein halb verschlafener Inspektor Columbo auf dem Anwesen von Fabrice Holdstake. Der junge Sergeant Higgins, der erst letztes Jahr von der Polizeischule ins Team dazugestoßen war, befand sich schon eifrig am Werk.
"Inspektor Columbo, ach, hat man Sie geschickt? Das ist ja interessant."
Columbo gähnte ein erstes Mal.
"Wieso, Higgins? Es ist doch ein Mord verübt worden, hieß es. Und ich bin vom Morddezernat."
Columbo gähnte ein zweites Mal und lamentierte:
"Wieder mal mitten aus dem gesunden Nachtschlaf gerissen worden. Ich brauche endlich Urlaub."
"Ja, ja, ein harter Job, wenn man alt wird!", kommentierte der hellwache Higgins. Columbo zeigte sich spendabel:
"Möchten Sie übrigens ein Hühnerei? So früh morgens habe ich noch keinen Hunger auf zwei davon, aber ich habe meistens zwei Eier dabei."
"Ich habe immer zwei Eier dabei", erwiderte der Sergeant und lachte über seinen Witz. Als Columbo nicht mit lachte, erlangte Higgins seine Haltung zurück:
"Spaß beiseite! Zu unseren Füßen liegt schließlich ein zum Sterben zu junger Mann, der seinen Tod erlebt hat. Irgendwann gestern am späten Abend, noch vor Mitternacht auf jeden Fall. Die Nachbarin gegenüber ging nämlich um Mitternacht den Ruf der Natur beantworten und sah dabei Licht hier im Haus brennen und die Haustür offen stehen. Schon das Licht um Mitternacht erschien ihr für Fabrice Holdstake, den Toten, ungewöhnlich, weil er immer früh morgens aufstehen musste und nie so lange aufblieb. Sie zog sich einen Morgenmantel über..."
Columbo packte Higgins am Arm.
"Entschuldigen Sie, wenn ich Sie unterbreche, wie sagten Sie heißt der Tote?"
"Fabrice Holdstake. Fabrice ist ein französischer Männername, irritiert Sie das?"
Der Inspektor schob sich eine herabhängende Haarlocke aus der Stirn.
"Nein, das ist es nicht, was mich erstaunt. Hätten Sie vielleicht einen Notizblock für mich? Ich fürchte, ich habe meinen in der morgendlichen Eile vergessen."
"Dafür haben Sie an Ihre zwei Frühstückseier gedacht. Man kann nicht an alles denken", zwinkerte Higgins ironisch.
"Also keinen Notizblock? Na, egal... merk' ich mir eben den jetzigen Kenntnisstand im Kopf. Was war mit der Nachbarin?"
Columbo entpellte sein Ei und steckte es sich komplett in den Mund.
"Sie lief besorgt zur offenen Haustür, blickte ins Haus und bemerkte den leblosen Körper auf dem Fußboden. Der Leichenbeschauer meint, Mr. Holdstake liegt hier seit circa 11 P.M. und starb durch einen Genickbruch, verursacht durch einen brutalen Schlag am Schädelansatz mit einem stumpfen Gegenstand. Mord also."
Columbo kaute sein Ei zu Ende, schluckte den letzten Bissen herunter, sah auf die Leiche herab und fragte:
"Er trug so spät am Abend einen Anzug mit Krawatte? Für wen? Was könnte er vor seiner Ermordung getan haben?"
"Auf dem Bürotisch nebenan fanden wir seinen Terminkalender. Gestern hatte Mister Holdstake einen Gerichtstermin. Worum es dabei ging, werden Sie sicherlich als erstes heute Vormittag ermitteln wollen, Inspektor."
Columbo konnte auftrumpfen:
"Muss ich nicht. Ich war dabei. Fabrice Holdstake war mein jüngster Fall. Er war mein Gejagter im brutalen Mordfall Dr. Madlyn Thornedge."
"Sieh an! Dann ist es umso weniger verwunderlich, dass man Sie geschickt hat. Sie haben Vorkenntnisse?"
"Diesen Staatsanwalt DiCenzo werde ich mir heute nochmal vorknöpfen."
KAPITEL 5
Um 8:30 A.M. war Columbo der erste spontan eingeschobene Termin des Tages für Gerald DiCenzo in dessen Büro, und seine erste Frage bezog sich auf seine Zigarre.
"Nein, ich habe nichts dagegen, wenn Sie in meinem Büro rauchen, Columbo, ich mag Zigarrenrauch. Erschlagen, sagten Sie? War da etwa ein Angehöriger von Frau Dr. Thornedge mit dem gestrigen Urteilsspruch so unzufrieden, dass er sich zur Selbstjustiz genötigt sah? Da hätte die Jury Mr. Holdstake in seinem eigenen Interesse wohl besser verurteilt und in Sicherheitsverwahrung gesteckt, wo er selber sicher gewesen wäre!"
"Ich denke auch, diese neue Mord hat mit dem letzten Mord irgendetwas zu tun. Sie sehen den Justizirrtum also jetzt selber ein?"
DiCenzo schlug in seinem Bürostuhl die Beine übereinander.
"Nein, rein sachlich betrachtet halte ich das Urteil der Geschworenen für zwar grenzwertig, aber für vertretbar korrekt. Ich wundere mich höchstens, dass es einstimmig war, aber es muss ja einstimmig sein, um Gültigkeit zu haben. Ich gebe zu, der Fall ist extrem komplex und ungewöhnlich und vermutlich einzigartig in der Justizgeschichte und ich hätte selber nicht gern in der Haut eines Geschworenen gesteckt. Da war es eben an mir, mit der Bestätigung des Urteils einen Präzedenzfall zu schaffen."
Columbo zog an seiner Zigarre und paffte sich Mut an.
"Ihre Jury und Sie sind deswegen auch nicht ganz unverdächtig, muss ich Ihnen sagen, Mr. DiCenzo."
"Wie bitte?", staunte der. "Das müssen Sie mir aber auseinanderlegen."
"Ihr Motiv könnte gewesen sein, die mögliche Korrumpierbarkeit der Geschworenen zu deckeln, für den Fall, dass Madlyn Thornedge vorsätzlich und nicht unglücklicherweise erstochen wurde und Mister Holdstake und sein Anstifter Doktor Belford die Geschworenen bestochen hätten, so außergewöhnlich zu urteilen wie sie es gestern getan haben. Bestechen und erstechen - zwei sprachlich ganz ähnliche Delikte, die Mister Holdstake beide begangen haben könnte."
DiCenzo schüttelte angeekelt den Kopf.
"Sie meinen, als Dank für sein Korruptionshonorar würde ein Bestochener seinen Geldgeber ermorden wollen? In Ihrer wirren Gedankenwelt möchte ich nicht zuhause sein. Wenn ich Sie recht verstehe, halten Sie Fabrice Holdstake für den einzig schuldigen Mörder von Mrs. Madlyn Thornedge, die von Holdstakes besessenem Körper während seiner Rückführung erstochen wurde. Dann müssten Sie ihm seine eigene Ermordung doch gönnen. Dann hat er doch seine Strafe, die er durch die Jury nicht bekam, von einem höheren Gericht doch noch erhalten."
Columbo entgegnete kühl:
"Anstatt mich in Genugtuung zu sonnen, mache ich mich jetzt auf die Suche nach dem nächsten Mörder in diesem verschachtelten Fall."