Columbo: Ein sauberer Tod (Teil 1)

Wir möchten versuchen, eine Columbo-Episode in Roman bzw. Comic Form zu schaffen. Falls ihr Ideen für einen neuen Fall habt schreibt es hier.

Columbo: Ein sauberer Tod (Teil 1)

Beitragvon Columbologe » Mi, 17.12.2025 08:46


COLUMBO: EIN SAUBERER TOD
(Columbo: Murder Is No Form of Art)

KAPITEL 1
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Es war Donnerstag, der Elfte, am Nachmittag. Der Millionär André van Zonbrooks fuhr in die Tiefgarage, stieg aus seinem Jaguar aus, klopfte sich einen Fussel vom Rock, zündete sich eine Zigarre an und betrat den Aufzug des Betriebsgebäudes. Unter dem Firmenschild der "Handle the Art Company" stand: "Wir kommerzialisieren Ihre Ideen!"
Er fuhr in den dritten Stock, wo der Betriebsleiter Chris Handle mit ihm einen Termin hatte. Er stieg aus und blickte auf das Schild über der "Rausschmeißer-Röhre" neben dem Aufzug. Es stand darauf: "Durch diese hohle Röhre muss er rutschen - es führt kein anderer Weg nach draußen." Diese Konzeption und Konstruktion war Andrés Idee gewesen, und es erfüllte ihn mit Stolz, dass Chris Handle sie in seinem Betrieb umgesetzt hatte. Es wurden zwar nicht wirklich unliebsame Gäste durch die Rausschmeißer-Röhre drei, vier Stockwerke runter befördert, aber der betriebseigene Putzmann konnte sie benutzen, um Müllsäcke ohne Umwege über den Aufzug in die Tiefgarage stürzen zu lassen.  
Chris Handle begrüßte seinen Gast:     
"Immer noch der alte Hosenverweigerer, Mister van Zonbrooks?"
Der grinste und paffte seine Zigarre.
"Beinbelüftung ist nicht alles, aber ohne Beinbelüftung ist alles nichts. Mich zwingt keiner in die Hosenfalle! Ich bin Mann - ich laufe mit Röcken durch meine Scheinwelt!"
"Treten Sie ein, Mister van Zonbrooks! Setzen wir uns!"
"Sagen Sie, Mister Handle, warum ist eigentlich keine Ihrer Büroecken wirklich rechtwinklig, sondern alle sind sie abgerundet?"
Chris setzte sich in seinen ästhetisch-geschwungenen Bürostuhl.
"Erstens, weil rechte Winkel in der Natur nicht vorkommen, und zweitens, damit unser Marc die Ecken leichter putzen kann. Da kommt er gerade! Tag, Marc!"
Marc Rainsbury war der Reinigungsmann für das Betriebsgebäude der "Handle the Art Company". Er war 36 Jahre alt und mit Chris Handle, seinem Vorgesetzten, gut befreundet, deshalb antwortete er: 
"Grüß dich, Chris. Heute 20 Uhr Pokerabend?" 
"Wie jeden zweiten Donnerstag im Monat!", rückversicherte Chris Handle. Und damit machte sich Marc an die Arbeit, das Büro der Sekretärin Miss Joyce zu putzen, die schon Feierabend gemacht hatte. Solange wie Chris einen Termin hatte, konnte er die betriebseigene Stereoanlage mit seiner geliebten Begleitmusik nicht anschalten. Marc lauschte stattdessen dem Dialog aus dem Chefbüro:
"Zur Sache, Mister Handle! Haben Sie oder Ihre Angestellten sich bemüht, etwas Nützliches für mich zu erschaffen, wo ich mein Künstlerherz dran aufhängen könnte?"
"Kommt drauf an, was Sie im Gegenzug uns anzubieten haben, Mister van Zonbrooks. Ich schlage Ihnen einen Tausch vor, bei dem ich den Kürzeren ziehe."
"Dass ich nicht lache! Das kann ja wohl kaum in Ihrem Interesse sein."
"Sie überlassen mir nur 1 Konzept von Ihnen und ich gebe Ihnen dafür die Rechte an 3 Konzepten von mir, die das Patentamt unterdrückt, weil in dem menschenfeindlichen System, in dem wir leben, alles, was uns das Leben nachteilslos erleichtern könnte, nicht für den privaten Gebrauch zugelassen wird."
"Wie ich Sie listigen Luchs kenne, wollen Sie mir mein Konzept zur mannshohen Badesäule abjagen und mir dafür drei Konzepte andrehen, die alle nichts taugen, und dann habe nämlich ich den Kürzeren gezogen. Quantität und Qualität sind nie ein guter Tausch für den, der die Quantität bekommt." 
"Schauen Sie sich doch erstmal meine Entwürfe für die Zylinderpyramide, den Lochwürfel oder den Hexakreis an! Oder hier... das wendbare Selbstbildnis. Auf der Vorderseite sehen Sie ein lebensnahes Gemälde meines Kopfes so wie er ist, und auf der Rückseite das gleiche Bild im Röntgen-Look, todesbejahend mit Skelettschädel. Nutzlos, zweckentbunden und einfach nur schön, finden Sie nicht, Mister van Zonbrooks? Das Suhlen im Weltschmerz gehört doch zu Ihrer Lebensqualität unbedingt dazu, sagten Sie mir letztens."
Van Zonbrooks reagierte angewidert.
"Nee, einfach nur schön finde ich das nicht! Das ist Notkunst, Mister Handle, Notkunst, die man sich husch husch aus den Fingern saugt, damit man etwas zum Anbieten hat. Sieht Ihnen ähnlich, sowas." 
"Ich finde, ich habe Ihnen einen fairen Tausch angeboten."
"Bei einem fairen Tausch macht keiner einen Gewinn. Ein guter Geschäftsmann muss auf die Dummheit seines Handelspartners hoffen und versuchen, ihn übers Ohr zu hauen."
"Dann tausche ich mit Ihnen lieber nichts mehr. Ich denke nämlich, dass Sie sich für einen guten Geschäftsmann halten."  
Der Besucher ging und das Gespräch war beendet. Wenig später machte auch Chris Feierabend. 
"Bis 20 Uhr dann, Marc! Putz noch mein Büro!", rief der Chef.
"Wird erledigt, Chris! Ich freue mich schon auf unser Pokerspiel!" 
Nun konnte Marc die Stereoanlage anmachen, seine Musik einlegen, das Büro der Sekretärin fertig putzen, das Chefbüro reinigen und den Aschenbecher auf dem Schreibtisch leeren. Der stand dort nur für Besucher, denn Chris Handle war Nichtraucher. Die Zigarre, die Mister van Zonbrooks geraucht hatte, lag darin.
Beim Putzen des Balance-Kreuzes, einem skurrilen Kunstobjekt in der abgerundeten Büroecke, unterlief Marc ein kleines Missgeschick, von dem er am Pokerabend lieber erstmal nichts sagen wollte.  

KAPITEL 2
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Es war 21 Uhr 30 am Donnerstagabend.
"Finde dich ab mit diesem Siegerblatt, Marc!", feierte Chris Handle seinen Sieg und legte seine vier Könige auf den Tisch. Mit seinen drei Jacks konnte Marc Rainsbury dagegen nicht ankommen.
"Tja, da hättest du wohl mal wieder zu hoch gepokert!", grinste Chris. "Machen wir noch eine halbe Stunde?"
Marc mischte die Karten und teilte neu aus.
"Zum Glück sind wir Kumpels und spielen nicht um neues Geld, sondern nur um Musik-CDs, die wir sowieso schon besitzen. Mal verliert man was - mal gewinnt man etwas wieder zurück. Da macht mir ein Verliererblatt nichts aus. Unter Freunden sind Triumphe und Niederlagen gleichwertig. Wie schön oder schlimm sie sind, liegt im Auge des Betrachters."
"Das redest du dir schön, Marc. Auch beim hobbymäßigen Pokern sind Niederlagen klar als solche definierbar."
"Das mag schon sein, Chris, aber die Bewertung des Definierbaren, ob schön wie Klänge von Caboria oder hässlich wie Hausmüll, die liegt in meiner Betrachtungsweise."   
Chris Handle legte sich den Zeigefinger auf die Lippen, schwieg und schielte in die Luft. Das tat er immer, wenn ihm ein Gedanke kam, den er nicht verlieren wollte. 
"Nimm deine Karten auf!", drängte ihn der Freund.
"Du hast mich gerade auf eine Konzeptidee gebracht."
"Wieder so eine Schnapsidee, die außer dir niemanden begeistert?"
"Nein, es ist diesmal jene goldene Konzeption, bei der sich alle Augen der Öffentlichkeit auf mich richten sollten!"
Chris führte selbstzufrieden aus, worüber er gerade nachdachte: 
"Als du eben sagtest >>hässlich wie Hausmüll<<, kam sie mir. Man könnte doch auch Müll in Kunst verwandeln. Wenn man Hausmüll zu einem formschönen Klumpen verschnüren und diesen mit einem geruchsdichten Kunststoff ummanteln würde..."
Marc fiel ihm ins Wort:
"...dann könnte man sich im Museum danach die Lippen lecken. Und wenn du Erfolg damit hast, bekomme ich bitteschön Prozente, weil ich dich ja auf die Idee gebracht habe." 
"Steht das in deinem selbstgeschriebenen Gesetzbuch >>Die Welt, wie sie mir gefällt<<?", lachte Chris. Marc lachte nicht mit.    
"Ich brauch' Kohle."
"Wenn du Kohle brauchst, verbrenn doch die Bretter vor deinem Kopf!"
"Oder ich warte, bis du stirbst, und verkaufe dann, was du mir vererbt hast. Deine 20.000 Filme, Platten und Musikkassetten zum Beispiel. Die könnte ich sowieso niemals alle durchgucken und durchhören, deswegen macht es mir ja auch nichts aus, wenn ich beim Poker nicht alle deine Einsätze gewinne."
Chris schlug zurück und grinste zynisch:
"Das hast du dieses Jahr schon mal gesagt. Deswegen habe ich übrigens meinen letzten Willen in diesem Punkt geändert: Haupterbe wird mein anderer Musikfreund Daniel, und ich habe ihm auch so ein Formular ausgehändigt wie damals dir. Deins ist aber älter und zählt dann nicht mehr. Nur die Filme und Platten, die Daniel nicht haben will, würden im Falle meines Todes an dich fallen. Daniel hat mir aber schon versichert, dass er wahrscheinlich alle nehmen würde, so dass für dich nicht mal ein kleiner schäbiger Rest übrig bliebe. Was sagst du nun?"
Marc sagte gar nichts; er schaute nur verdutzt.
"Ich putz' dich weg!", murmelte Marc apathisch. Daraufhin wagte Chris es auch noch zu lachen. Marc dachte darüber nach, Chris die Freundschaft zu kündigen. Dummerweise war Chris außerdem sein Vorgesetzter, der die Macht hatte, Marc jederzeit ohne Angabe von Gründen zu feuern. Marc war nicht mehr so wie früher bei der Gebäudereinigungsfirma Superclean unter Vertrag und wollte es sich nicht auch noch mit Chris Handle verscherzen. Er musste sich irgendwie anders rächen. 


KAPITEL 3
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Es war am Freitagnachmittag. In der "Handle the Art Company" war Feierabend und Wochenende. Bis auf eins waren alle Autos der Mitarbeiter aus der betriebseigenen Tiefgarage schon verschwunden, als Marc Rainsbury mit seinem Privatwagen einfuhr. Das eine Auto, das noch in der Tiefgarage stand, war das von Chris. Freitags blieb der meistens länger als die anderen. Marc langte auf seinen Beifahrersitz. Dort lagen vier Seile. Er steckte sie sich in die Jackentaschen, stieg aus und ging an den Ascheimer, in den er gestern den Zigarrenstummel von Mister van Zonbrooks reingeworfen hatte. Er zog ein Plastiktütchen aus seiner Jacke und füllte die Zigarre mit der dazugehörigen Asche hinein, steckte das Tütchen ein, betrat über den Aufzug das Dienstgebäude und fuhr in den dritten Stock.
"Hi Chris, Überstunden?", rief Marc bei einem Blick ins Chefbüro seinem Kumpel zu. 
"Tag Marc. Ja, ich habe wie so oft noch etwas zu tun und danach noch was. Ist es wahr, was so sonnenklar auf der Hand liegt, dass du es warst, der gestern Nachmittag das Balance-Kreuz hier zum Umsturz gebracht hat?"
Chris deutete auf jenes skurrile Kunstobjekt in der abgerundeten Ecke neben seinem Bürofenster.
"Ja, sorry, als ich gestern dein Büro putzte, wollte ich auch das Balance-Kreuz abstauben, und dabei passierte es mir, dass es aus der Balance geriet. Ist es schlimm?"
"Ja, das ist schlimm! Auch dass du das bei unserem Pokerspiel peinlich berührt mit keinem Wort erwähnt hast, ist unverzeihlich! Aber ich kriege das vulnerable Meisterwerk schon wieder repariert. Du kannst jetzt zu putzen anfangen!"
"Am Freitagnachmittag sind immer die Gänge und Treppen dran." 
"Okay, dann mach die Gänge und Treppen sauber!"
"Stört es dich, wenn ich meine Musik anmache, Chris?"
"Welche Musik? Ich brauche mehr Transparenz in deinen Worten."
"Caboria natürlich. Ich höre am liebsten Caboria beim Arbeiten, weil Instrumentalmusik meinen Fokus leichter auf den Kern einer Sache lenken kann. Gesungene Songs führen mich eher in die Irre."
"Ja, höre Caboria! Auch Musik ohne Worte hat uns viel zu sagen. Ich schaue derweil die Urlaubsplanungen durch."
Marc suchte sich seine Arbeitsmaterialien zusammen, legte das Caboria-Album >>A Hobo's Fairytale<< in den betriebseigenen CD-Player, pfiff die Melodien mit, öffnete eine Flasche Procur-Konzentrat der Firma KIEHL, nahm seinen Wischmop zur Hand und machte den Gang sauber. 
Nach einer halben Stunde - es war genau während der Ruhepause vor dem beschwingten Song >>Tarantella Della Morte<< - rief Marc Chris zu sich; er habe eine Frage. Chris trat nichts Böses ahnend auf den Gang hinaus. 
"Es geht um dieses Kunstwerk hier im Regal. Was ist das?"
Chris erklärte in knappen Worten:
"Ein Lavastein. Ein Stück aus dem Inneren eines Vulkans. Was ist damit?"
"Es ist gekommen die rechte Zeit!", sagte Marc. Mit diesen Worten ergriff er den Lavastein, holte weit aus und innerhalb einer Viertelsekunde war der Lavastein auf Chris Handles Stirn gelandet. Ohnmächtig sackte der Betriebsleiter auf seinem Gang zu Boden. 
"Nicht nur Freitag, der Dreizehnte ist ein Unglückstag. Auch Freitag, der Zwölfte kann ein schwarzer Freitag sein", belehrte Marc den regungslosen Chris und pfiff zu der Musik aus der Stereoanlage. Marc fesselte den Chef und Freund mit den vier Seilen, die er sich griffbereit in die Jackentaschen gesteckt hatte, an Händen und Füßen. Dann nahm er einen sauberen, frischen, blauen Polyethylen-Sack und schnürte diesen am Hals seines Opfers fest. Sobald Chris aus seiner Bewusstlosigkeit erwachen sollte, würde ihm der Sauerstoff ausgehen und er würde qualvoll unter dem Müllsack ersticken müssen. Marc zog sich Gummihandschuhe an und fingerte damit im Anzug seines Chefs nach dessen Schlüsseln und Handy. Er fand beides und nahm die Dinger vorläufig an sich. Marc schob sich den Abfallwagen aus der Abstellkammer auf den Gang. Es lagen schon fünf gefüllte Müllsäcke darauf, bereit zur Entsorgung. Er öffnete einen sechsten Sack und zog ihn Chris über den gesamten Körper. Jetzt hob er den Sack mit seinem wehrlosen Opfer darin auf den Abfallwagen. Nun säuberte er mit seinem Putzmittel gewissenhaft den Lavastein und legte ihn an die Stelle zurück, von der er ihn entnommen hatte. Die zwei, drei Quadratmeter, wo er den Hieb ausgeführt und den Körper in den Müllsack gesteckt hatte, wurden mit derselben Sorgfalt gereinigt, bevor Marc den Abfallwagen in Richtung Aufzug rollte. Dort nahm er zunächst den Sack mit Chris darin, öffnete die Sicherheitsklappe der Rausschmeißer-Röhre und stopfte den Sack in die 18 Meter lange, im 45°-Winkel zum Erdboden geneigte Plastikröhre. Ein witziges Kunstobjekt, dachte Marc. Er trat gegen den Sack und dieser rutschte vier Stockwerke hinunter bis ins Untergeschoss, wo er in der Tiefgarage hart auf den Asphalt prallte. Marc lächelte, als er die anderen fünf Müllsäcke hinterher rutschen ließ. Marc selbst nahm lieber den Aufzug in die Tiefgarage. Die fünf obersten Säcke landeten Minuten später im dort stationierten Müllcontainer, den untersten sechsten Sack zerrte Marc vorsichtig, damit er nicht riss, über den Asphalt und bugsierte ihn in den Kofferraum seines privaten Fahrzeugs. Er schloss die Haube ab. Nun ging er zu Chris Handles Wagen. Mit dem abgenommenen Schlüssel öffnete er die Fahrertür. Er langte nach dem Plastiktütchen mit der Zigarre und dem Speichel des André van Zonbrooks und füllte den Inhalt in das Aschenbehältnis des Autos, so als habe der Millionär, der gestern einen Termin bei Chris hatte, das Auto gefahren. Pfeifend ging Marc zurück an seine Arbeit. Auf den Schreibtisch seines Chefs legte er dessen Handy. Dort konnte es in aller Ruhe klingeln, ohne den Aufenthaltsort seines Besitzers zu verraten. Nun endlich konnte Marc, dessen Hände unter den Gummihandschuhen schon zu schwitzen anfingen, die Dinger wieder ausziehen.         

Fünf Stunden später waren alle Gänge und Treppen sauber und Marc konnte ins Wochenende starten. Er wollte nicht riskieren, dass jemand ihn im Wagen seines Vorgesetzten sehen könnte, darum ließ er Chris Handles Auto unberührt in der Tiefgarage stehen. Er stieg in sein eigenes Auto, machte sich Musik an und fuhr pfeifend nach Hause. Er lächelte in seinen Schnauzbart bei dem Gedanken, dass der einzukleidende Unrat für den weltweit ersten Müllstein der Erfinder des Müllsteins höchstpersönlich sein würde. Er murmelte: "Chris, du ahnst gar nicht, wie ästhetisch schön dein Körper erst aussehen wird, nachdem meine begabten Künstlerhände ihn entsprechend bearbeitet haben."

Als Marc in seine Garage fuhr und den Motor abstellte, schloss er zunächst pfeifend das Garagentor, um nicht von Nachbarn oder Passanten dabei beobachtet werden zu können, wie er aus dem Kofferraum einen 80 kg schweren Müllsack hievte, den er sogleich in eine Schubkarre plumpsen ließ, die er durch die Hintertür der Garage aus seinem Garten geholt hatte. Er rollte die Schubkarre durch die Verandatür bis in sein Wohnzimmer hinein, wo er den Müllsack auf den Parkettboden schüttete. Er rollte die Karre in den Garten zurück und beseitigte sofort mit seinem Procur-Konzentrat die deutlich sichtbaren Reifenspuren der Schubkarre auf dem Boden, bevor er sich eine Tube Klebstoff, einen Haufen Zeitungspapier und eine Rolle Valutect-Isolierfolie zusammen suchte. Er wusch sich die Hände am Waschbecken und legte die CD "Layro" von Caboria ein. Nun begann er mit Hilfe seiner Arbeitsmaterialien, den 80 kg schweren Müllsack zum weltersten ästhetischen Müllstein umzugestalten.          


KAPITEL 4
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Es war inzwischen dunkel und Abend geworden. Marc hatte schon die Vorhänge zu ziehen müssen, damit nicht Nachbarn in sein erleuchtetes Wohnzimmer hineinblicken können. Dabei hatte er auch die Fenster auf Kippe gestellt, um den Geruch des Klebstoffs aus dem Zimmer zu leiten. Von dem ursprünglich blauen Müllsack war mittlerweile nichts mehr zu erahnen. Viele Zeitungspapierstreifen hatte Marc auf dem Polyethylen befestigt und zusätzlich mit geruchsdichter Valutect-Isolierfolie ummantelt. Sie verbargen das tote Fleisch, das darunter nun langsam zu faulen beginnen durfte. Hypnotisierende Intervalle aus vier Viertelnoten, gefolgt von jeweils einer halben Note, beflügelten Marc Rainsburys Kreativität.
Beinahe wäre das Klingeln an der Tür im Notenmeer der in Dauerschleife gehörten Caboria-CD untergegangen. Aber Marc hatte es vernommen, öffnete die Tür und blickte in das Gesicht eines fremden, mit Anzug und Schlips vornehm gekleideten kleinen Mannes. Er hatte einen Regenmantel über den Anzug gezogen, obwohl das Wetter nicht danach verlangte.
"Entschuldigen Sie die Störung, mein Name ist Columbo, darf ich Sie ganz kurz sprechen?" 
"Sie haben ein Anliegen?"
"So muss man es ausdrücken. Ich ging vorhin schon mit meiner Frau, also mit Mrs. Columbo an Ihrem schönen Haus vorbei in Richtung Kino. Wir erwarteten keine Wunder, da plötzlich sagte sie zu mir: >>Wo mag diese wundervolle Musik herkommen? Wenn ich nur wüsste, wer die macht!<< Ich sagte: >>Klingt, als käme die Musik aus dem Haus da<<, und darauf sie: >>Klingeln wir doch mal und fragen, wer diese Musik macht!<< Ich meinte, sowas können wir nicht einfach machen, und sie meinte: warum denn nicht? Ich meinte: Wir verpassen noch unseren Kinofilm. Wir hatten uns fast schon zu streiten angefangen, deswegen besänftigte ich Mrs. Columbo und versprach ihr: >>Wenn auf unserem Rückweg aus dem Kino noch immer an dieser Stelle die wunderschöne Musik aus dem Haus ertönt, dann klingeln wir mal!<<"
Marc ging entzückt und entgegenkommend auf das Gespräch ein:
"Und wo ist Ihre Frau jetzt, Mr. Columbo? Ich sehe Sie alleine." 
"Oooh, sie traf eine alte Bekannte im Kino und blieb nach dem Film noch bei ihr und meinte, ich solle schon alleine nach Hause gehen. Und jetzt laufe ich wieder hier lang und höre wahrhaftig noch immer Ihre Musik. Da denke ich mir: Halte dein Wort und klingele mal an der Tür und frage den Menschen, der dir öffnet, wer die Erzeuger der herrlichen Musik sind!" 
"Sie hören leider nur eine CD, Mr. Columbo, ich habe kein Ensemble eingeladen. Aber ich gebe Ihnen völlig recht; es ist außerordentlich hochklassige Musik, die das Trio Caboria mit ihren akustischen Gitarren und der Geige macht! Caboria ist meine liebste Instrumental-Band; ich besitze jede Note, die sie je aufgenommen hat und höre sie immer beim Arbeiten. Sie und Ihre Frau haben einen guten Musikgeschmack, muss ich Ihnen sagen."
Durch diesen überaus freundlichen Empfang wurde Columbos Interesse größer und größer.
"Könnten Sie mir den Namen der Gruppe bitte einmal aufschreiben? Ich muss sehen, dass ich meiner Frau diese CD auch schenke. Ich glaube, sie würde auch gerne jede Note von Caboria besitzen." 
"Das wird aber schwierig, denn nicht alles ist auf CD veröffentlicht worden. Ich stehe in persönlichem Kontakt mit der Gruppe und habe auch die Live-Raritäten und die frühen Demos aus der Phase vor ihrem ersten Debütalbum >>Hindsight<< auf Musikkassette."          
"Sind Sie denn selber auch Musiker?" 
"Nein, nein, ich bin bloß ein kleiner Gebäudereiniger, also Raum- und Bodenpfleger, der bei seiner Arbeit musikalische Beflügelung liebt. Und semiprofessionell bin ich ein kleiner Theaterschauspieler im bescheidenen Kreis. Mein Name ist Marc Rainsbury. Möchten Sie kurz hereinkommen und die CD anschauen? Aber bitte ziehen Sie Ihre Straßenschuhe aus." 
Columbo zögerte nicht, löste seine Schnürsenkel, glitt aus seinem Schuhwerk und betrat dankbar das Wohnzimmer seines Gastgebers Marc Rainsbury.
"Ich muss mir noch eben die Hände waschen gehen; ich bin gerade am Werkeln."
Columbos Blick musste zwangsläufig auf das große Objekt in der Mitte des Raumes fallen. 
"Was ist das, Mr. Rainsbury, eine Dekoration für eine Ihrer Theaterbühnen?"
Aus dem Badezimmer rief Marc laut, um die Hintergrundmusik von Caboria zu übertönen: 
"Bitte nicht anfassen, das Material ist noch nicht erhärtet! Das wird ein Müllstein. Der welterste Müllstein sogar. Es ist der Prototyp; ich hatte die Idee dazu. Ich werde versuchen, mit dieser Konzeption auf dem Kunstmarkt einen Blumentopf zu gewinnen." 
"Ein Müllstein?", hakte Columbo interessiert nach. "Wozu braucht man das?" 
"Es ist ein zweckfreies Kunstwerk. Die Idee dahinter ist, dass man seinen Hausmüll zu einer ästhetisch geschwungenen Formation zusammenschnürt und ihn in einem geruchsdichten Material verpackt. Anstatt seinen Müll zu entsorgen, kann man ihn auf diese Weise zum Stilmittel erheben und ihn elegant und umweltfreundlich verewigen. Wenn das jeder tun würde, bräuchte man gar keine stinkenden Müllkippen mehr."
Columbo schüttelte den Kopf.
"Das wäre für meine Frau nichts. Sie verabscheut jede Art von Müll. Wenn ich ihr vorschlagen würde, unseren Müll ab sofort zu sammeln und als formschönes Kunstwerk mitten im Wohnzimmer zu horten, würde sie die Scheidung beantragen." 
Marc lachte. 
"Dann wollen wir Ihrer Frau lieber die Freude mit Caboria machen. Hier, das ist das New-Age-Album >>Layro<< von 2014, das wir gerade hören."
Columbo suchte in seinen Manteltaschen seinen Notizblock. Beim Griff in die vierte Tasche fand er ihn, holte ihn hervor, fingerte in einer anderen Manteltasche nach einem Bleistift und schrieb endlich den Bandnamen sowie den CD-Titel auf. 
"Und Sie sagen, die Anfänge der Gruppe sind nicht auf dem Markt erhältlich, sondern ausschließlich nur bei Ihnen?" 
"Gewiss nicht nur bei mir, aber unter anderem bei mir. Ich habe eine Kassette voll mit Demos aus der Frühphase Caborias. Möchten Sie sich die vielleicht ausleihen? Hat Ihre Frau noch ein Tape Deck zum Abspielen von Musikkassetten?" 
"Das wäre aber wirklich ganz besonders nett von Ihnen, Mister Rainsbury. Ja, ein Kassettenfach habe ich im Autoradio. Ich fahre einen alten Peugeot. Und meine Frau hat ein Kassettenfach im Küchenradio. Wie ist denn die Klangqualität der Demos?"
Marc gab stolz sofort eine Kostprobe seiner Rarität. Er schaltete die laufende CD aus und warf die MC ins Kassettenfach seiner HiFi-Anlage. Im Stereoton erschallte die Demo-Rarität.
"Wird der Sound den Ansprüchen Ihrer lieben Frau genügen?"
"Astreiner Klang! Und diese kostbare Rarität möchten Sie einfach aus der Hand geben? Das kann ich doch gar nicht annehmen."
"Ich habe eine Kopie davon in meinem Computer, Mr. Columbo. Falls Sie nicht zurückkommen sollten, um mir die Kassette wiederzugeben, wäre der Schatz nicht verloren. Aber Leute, die Caboria mögen, sind charakterlich immer in Ordnung. Ich bin mir sicher, Sie kommen zurück. Wenn ich nicht zuhause bin, werfen Sie die Kassette gerne in meinen Briefkasten."
"Darauf können Sie sich verlassen, Sir. Viiiielen Dank!"  
Im Weggehen streifte Columbos Blick im Raum herum. Schließlich drehte sich Columbo vor dem Schuheanziehen nochmal auf dem Treppenabsatz um.
"Wissen Sie, Sir, dieser Müllstein regt schon irgendwie meine Phantasie an! Man fragt sich beim Betrachten, was er wohl verhüllen mag."
Columbo trat zurück ins Wohnzimmer und näherte sich dem noch unfertigen Müllstein. Marc beantwortete die Frage: 
"Jede Menge leere Flaschen Putzmittel. Also nichts, was ohne die Verhüllung ein wertiger Blickfang wäre."
"Dieser Müllstein ist gar nicht mal so zweckfrei wie Sie denken, Sir. Er könnte auch als praktischer Regal-Ersatz dienen."
Columbo legte zur Demonstration die Musikkassette auf eine getrocknete, ebene Stelle des Müllsteins. 
"Sehen Sie? Fällt nicht runter! Man kann allerlei darauf abstellen und findet es dann schnell wieder, wenn man sich merkt, dass man es auf den Müllstein gelegt hat."
"Genial! Das muss ich mir im Langzeitgedächtnis abspeichern", lachte Marc ironisch, nahm die Kassette von seinem Kunstwerk, steckte sie Columbo in seine rechte Manteltasche und begleitete ihn zur Haustür, wo Columbo sich seine Schuhe wieder anzog und Marc ein schönes Wochenende wünschte. 

          
KAPITEL 5
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Es war Samstagabend, der Dreizehnte. Vierundzwanzig Stunden waren vergangen, aber Regina Handle hatte ihren Ehemann noch immer nicht erreichen können. Aufgeregt betrat sie das Polizeirevier. Jetzt konnten sie daraus einen offiziellen Fall machen: Chris Handle war vermisst. Zwei Tage der Fahndung blieben ohne Erfolg.

Es war Montagnachmittag, als routinemäßig auch ein Mitarbeiter des Morddezernats eingeschaltet wurde. Seine Kollegen ließen sich gerade am Arbeitsplatz des Vermissten auf dem Gang von dessen Sekretärin Miss Joyce die Sachlage erklären, als Columbo hinzu kam und eine Frage hatte.
"Was ist das hier eigentlich für eine Firma, Madame?"
Miss Joyce hatte ein freundliches Wesen und erklärte es dem Inspektor gerne.
"Wir verstehen uns als Sprungbrett für aufstrebende, freischaffende, brotlose Künstler, die eine gute Idee haben und Hilfe brauchen, damit auf dem Kunstmarkt Fuß zu fassen. Vielleicht haben Sie ja selbst in Ihrem Bekanntenkreis so jemanden? Dann empfehlen Sie ihm doch bitte uns!"
Columbo machte im Stand eine halbe Drehung und deutete auf die Wand im Flur. 
"Neben dem Aufzug hängt ein Schild über einem Kunstwerk, das mich beunruhigt. Auf dem steht: >>Durch diese hohle Röhre muss er rutschen - es führt kein anderer Weg nach draußen.<< Könnten Sie mir das erklären? Ich würde das Gebäude gerne auf dem gleichen Weg verlassen wie ich es betreten habe."
Lächelnd nickte Miss Joyce.
"Das ist humorvolle Kunst! Mister Handle fand dieses Konzept eines Kunden so originell, dass er sich für teures Geld, das der Kunde ihm dafür spendete, so eine Rausschmeißer-Röhre im eigenen Betrieb installieren ließ. Aber Sie brauchen keine Angst zu haben, dass jemand Sie in diese Röhre steckt und aus dem Gebäude schmeißt, Inspektor. Die Rausschmeißer-Röhre ist mit einer Sicherheitsklappe verriegelt und wird nur zu Demonstrationszwecken geöffnet, wenn jemand fragt, ob es da wirklich gefährlich tief runter geht."
Ein Polizist stieg aus dem Aufzug.
"Ah, Inspektor Columbo, guten Tag!"
Columbo schüttelte ihm die Hand.
"Ich grüße Sie. Irgendwelche Spuren von dem Vermissten, Sergeant?"
"Sieht schlecht aus. Wir haben eine wahrscheinlich völlig uninteressante Entdeckung im Auto von Mister Handle gemacht. Es ist unten in der Tiefgarage geparkt."
"Welche Entdeckung? Ob sie uninteressant ist, möchte ich selbst beurteilen."
"Eine Zigarre im Aschenfach."
Columbo sah die Sekretärin an.
"Hier darf man doch rauchen, oder, Miss Joyce?"
Columbo zündete sich eine Zigarre an. Derweil sprach die Sekretärin zum Sergeant:
"Uninteressant ist Ihre Entdeckung nicht, mein Herr! Mein Vorgesetzter ist nämlich überzeugter Nichtraucher." 
Columbo horchte auf, während er auf sein brennendes Streichholz pustete.
"Hören Sie das, Sergeant? Wir müssen annehmen, dass vor seinem Verschwinden Mister Handle in seinem Auto einen Gast auf dem Beifahrer sitzen hatte, der Zigarre geraucht hat. Diesen Unbekannten müssen wir dringend finden und befragen."
Nun trat Regina Handle aus dem Aufzug. Sie interessierte sich für den Stand der Ermittlungen im Fall ihres vermissten Ehemannes. Als Columbo sich ihr vorstellte, reagierte sie besorgt. 
"Mordkommission? Ist es denn schon so ernst?"
Columbo wollte sie nicht beunruhigen, sie aber auch nicht in falsche Sicherheit wiegen.
"Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass Ihr verschwundener Mann Opfer eines Verbrechens geworden sein könnte, denn Sie sagten den Kollegen, er führe mit Ihnen eine sehr glückliche Ehe und würde Sie nicht ohne Vorzeichen in einer Nacht- und Nebelaktion verlassen. Und wenn er einen Unfall gehabt hätte, dann hätte ihn doch bestimmt irgendwer inzwischen gefunden und die Kollegen wüssten Bescheid. Bitte sagen Sie mir: Wann haben Sie Ihren Mann zuletzt gesehen und in welcher Situation?"
Regina musste keine Sekunde überlegen, denn seit Tagen dachte sie über nichts anderes nach.
"Donnerstag am späten Abend vor dem Schlafengehen. Chris kam von seinem Pokerfreund, mit dem er immer einmal im Monat donnerstags Karten spielt."
In Columbos Gehirn schlug, wie es ihm schien, ein Geistesblitz ein:
"Könnte er dabei vielleicht viel Geld gewonnen haben, das der Freund ihm schuldete, hat er darüber was erzählt?"
Doch Regina musste mit dem Kopf schütteln und somit Columbos Geistesblitz entkräften.
"Keine Chance, Inspektor. Die beiden spielen nicht um Geld; sie spielen um Filme und CDs, die sie dann untereinander tauschen. Keiner verliert dabei mehr als er besitzt oder gerät in Finanznot." 
"Den Namen dieses bestimmten Freundes, kennen Sie den zufällig?"
"Ich kenne alle Freunde meines Mannes mit Vor- und Nachnamen."
Regina hob staunend ihren Kopf. Wenn man vom Teufel spricht...
"Der Zufall besteht darin, dass der bestimmte Freund, von dem wir sprechen, in diesem Moment auf uns zukommt."       
Columbo drehte sich um und seine Kinnlade senkte sich. Er konnte nicht glauben, wen er ankommen sah. Es war der nette Kerl, bei dem er am Freitagabend im Wohnzimmer gestanden hatte. Columbo ließ Regina stehen und schüttelte strahlend Marc Rainsbury die Hand.
 "Das nenne ich einen unfassbaren Zufall, Sir! Die Redensart, dass man sich im Leben immer zweimal sieht, hat doch was für sich!"
Erklärend rief Columbo in Reginas Richtung: 
"Wissen Sie, Madame, vor drei Tagen erst lernten Mister Rainsbury und ich uns privat ein bisschen kennen und bereits heute begegnen wir uns dienstlich!"
Regina fand den Zufall auch amüsant und stieß ein Lachen hervor. Columbo wandte sich wieder Marc Rainsbury zu.
"Lassen Sie mich Ihnen gleich sagen: Mrs. Columbo hatte leider am Wochenende noch keine Zeit, Ihre Caboria-Kassette zu hören; wir hatten Besuch von der Familie. Aber meine Frau will es diese Woche tun. Eine CD dieser tollen Gruppe habe ich aber direkt am Samstagmorgen in einem Music Shop an der Ecke bestellt. Sie hatten leider keine CD vorrätig, weil die Band aus Europa stammt."
Marcs Wiedersehensfreude hielt sich in Grenzen, weil er die Sachlage nicht einordnen konnte. Warum waren Mister Columbo und Regina Handle im Chefbüro? Regina erklärte, dass sie Chris seit drei Tagen nicht mehr gesehen hatte. Marc mimte den Beunruhigten.
"Ooh... das klingt nicht allzu gut. Aber hoffentlich klärt sich bald alles auf und endet glücklich. Mister Columbo, was machen Sie denn hier?"
Marc sah, wie Columbo langsam in Richtung Chefbüro tappte.
"Ich leite die Untersuchung in diesem Fall. Von Beruf bin ich Bulle, das vergaß ich glaube ich am Freitag zu erwähnen. Ich erwähne das privat ungern und selten, wenn es nicht zum Thema passt. Menschen reagieren oft mit Ablehnung und Angst, wenn sie wissen, dass sie mit einem Gesetzeshüter sprechen. Nennen Sie mich ab heute gerne Inspektor Columbo, Mister Rainsbury!"
Über Marcs Stirn zog sich eine undefinierbare Falte.
"Wirklich wahr? Aber ziehen bitte auch Sie Ihre Schuhe aus, Inspektor, bevor Sie in das Arbeitszimmer gehen! Chris hat es mit weißem Schafswollteppich ausgekleidet und der soll nicht schmutzig werden."
Columbo blieb auf der Stelle stehen und riss die Hände in die Höhe.
"Selbstverständlich, Sir! Sauberkeit ist oberstes Gebot auf all unseren Wegen, bei Ihnen zuhause ebenso wie anderswo."
Columbo entledigte sich also nochmals seiner Schuhe und bombadierte Marc sogleich mit Fragen.
"Sie, Mister Rainsbury, waren derjenige Freund, der den Vermissten am Abend vor dem Tag seines Verschwindens noch bei Ihrem gemeinsamen Pokerspiel gesehen hat?"
"Ich habe ihn sogar noch am Freitagnachmittag in diesem Arbeitszimmer hier gesehen und könnte sogar der Allerletzte sein, von dem wir wissen, dass Chris ihn gesprochen hat."
Columbo wurde klar, dass er nicht darüber im Bilde war, welche Funktion Marc Rainsbury bei der "Handle the Art Company" hatte.
"Was tun Sie denn hier, Mister Rainsbury? Sind Sie der Putzmann?"
Marc zog seine Mundwinkel nach unten.
"Das ist eine etwas abfällige Bezeichnung. Man könnte mich auch die Reinigungsfachkraft nennen, Inspektor Columbo."
"Reinigungsfachkraft... ist das auch wirklich der Beruf, den Sie sich als Kind erträumt hatten?"
"Unter der Voraussetzung, dass ich Musik beim Reinigen hören darf, kann ich behaupten, dass ich den angenehmsten Job der Welt habe, für den ich mich keinesfalls rechtfertigen muss. Ohne Musik würde ich nicht voll und ganz in meiner Tätigkeit aufblühen; mit Musik kann ich das aber schon!"
Columbo streckte anerkennend seinen Zeigefinger und seinen Arm aus.
"Einen Punkt für Sie, Sir! Können Sie mir beschreiben, wie Ihr Freitag aussah, der Nachmittag des Verschwindens Ihres... Freundes, Ihres Vorgesetzten? Mister Handle ist doch Ihr Vorgesetzter, oder nicht?"
Marc nickte bestätigend.
"Freund und Vorgesetzter, ja, beides stimmt. Im Leben überschneidet sich manches und anderes geht sich gänzlich aus dem Weg. Also zu Ihrer Frage, Inspektor Columbo, ich denke schon, dass ich das noch zusammen kriege. Ich betrat das >>Handle the Art<< am Freitag gegen 14 Uhr 30. Da war Chris noch in seinem Arbeitszimmer. Er sagte, er müsse sich noch der Urlaubsplanung widmen. Etwa eine Stunde später war er damit fertig und sagte mir, er müsse schnell noch jemanden auswärts treffen und er wolle danach schnellstmöglich zurückkehren."
Columbo kratzte sich am Kopf.
"Aha. Sein Handy lag auf seinem Schreibtisch. Wir können sehen, seit wann er nicht mehr auf eingehende Anrufe reagiert hat, was uns enorm hilft, den Zeitpunkt seines Verschwindens zu bestimmen. Mrs. Handle, Mr. Rainsbury, Miss Joyce, was glauben Sie? Warum hat er das Ding nicht dabei gehabt, als er das Gelände verließ?"
Miss Joyce, die lange brav zugehört hatte, ohne sich einzumischen, schlug vor:
"Ich nehme an wegen Zeitdruck, weil Mister Handle zu dem, den er treffen wollte, schon nicht mehr pünktlich hätte kommen können. Jedes weitere Telefonat hätte ihn nur noch zusätzlich aufgehalten, also ließ er sein Smartphone lieber liegen."
Columbo kratzte sich weiter und stärker am Kopf. 
"Sein Auto ist aber unten in der Tiefgarage geparkt. Wieso hätte er, wenn er schon im Zeitdruck war, auch noch zu Fuß laufen sollen?"
Marc hatte darauf eine Antwort:
"Lassen Sie mich mal ein paar Sekunden die verrosteten Spinnrädchen in meinem gestörten Gehirn in Bewegung bringen! Man muss da ergebnisoffen denken. Möglicherweise hat nicht Chris den Wagen in der Tiefgarage abgestellt, sondern die Person, mit der er sich traf. Die könnte auch für das Verschwinden von Chris verantwortlich zeichnen." 
"Hätten Sie eine Idee, nach wem wir da suchen könnten?", fragte Columbo ergebnisoffen denkend. Eine Idee hatte Marc tatsächlich: 
"Am Donnerstag war ein Mister van Zonbrooks im Arbeitszimmer von Chris zu Gast. Der sagte beim Fortgehen, er würde ihn morgen wiedersehen wollen."
Und Miss Joyce ergänzte: 
"Übrigens, Inspektor: Mister van Zonbrooks ist der, der seinerzeit die Idee zu der Rausschmeißer-Röhre hatte, die ich Ihnen gezeigt habe." 
Columbo nahm sich fest vor:
"Dieser Herr ist der nächste, dem ich ein paar Fragen stellen muss. Ich fürchte nur, dass ich es heute zeitlich nicht mehr schaffe."
Damit zog sich Columbo seine Schuhe wieder an und begab sich auf den Gang zurück.


KAPITEL 6
________

Der Kalender zeigte Dienstag, den Sechzehnten. Es war am Vormittag. Columbo war mit seinem Peugeot in den geräumigen Vorhof der Villa des André van Zonbrooks gefahren und hatte ihn neben dessen Jaguar geparkt. Der Kontrast von jenen zwei so eng beieinander stehenden Gefährten wollte dem Hausherrn amüsant erscheinen, als er Columbo höflich herein bat. Der Gast wollte sich gerade eine Zigarre anzünden, da unterbrach ihn André van Zonbrooks: 
"Möchten Sie nicht eine von meinen Premium-Zigarren, Inspektor? Was Sie da rauchen, ist doch Billigkram!"
Columbo lehnte dankend ab:
"Es ist meine liebste Sorte; ich bin völlig glücklich damit, Sir."
Die beiden setzten sich einander gegenüber in zwei stilvoll verzierte Ohrensessel. Dass André van Zonbrooks einen Rock trug, registrierte Columbo zwar, kommentierte es aber nicht.
"Meine erste Frage an Sie bezieht sich auf Donnerstag, den Elften. Genauer gesagt auf den Nachmittag. Wir haben diesen Ohrenzeugen, den Putzmann. Der sagt aus, Sie hätten angekündigt, sich am Freitag dem Zwölften nochmal mit Mister Handle zu treffen. Haben Sie das getan und haben Sie dabei vielleicht in seinem Auto gesessen?"
Van Zonbrooks atmete den Zigarrenrauch aus.
"Völlig absurd, Inspektor, Ihr Ohrenzeuge hat sich verhört. Es gab für mich keinen Grund mehr, am Tag nach unserem Termin wiederzukommen und ich saß auch nie in seinem Auto. Mister Handle hatte weitere Verhandlungen mit mir abgelehnt, weil er befürchtete, die Deals würden sich für mich mehr lohnen als für ihn."
"Welche Art von Deals?", hakte Columbo neugierig nach.
"Wir tauschen Rechte an originellen, kunstvollen Konzepten aus. Ein köstliches Konzept von mir, das Einzug in seine Firma fand, ist die Rausschmeißer-Röhre neben seinem Aufzug, in der unliebsame Gäste mit einem kleinen Schubs vom Gastgeber direkt bis in die Tiefgarage im Untergeschoss rutschen können."
"Landet man dabei auch wirklich weich und sicher?" 
"Das hängt davon ab, wie man die untersten Meter gestaltet, ob man sie auspolstert, ob man eine Matratze unter die Röhre stellt oder ob nichts als harter Steinboden darunter ist. Mister Handle hat an einer weichen Ausarbeitung sparen wollen, weil er sowieso niemals ernsthaft jemanden auf diesem Wege rausschmeißen wollte. Für ihn war das bloß ein netter Gag. Deswegen gibt es im dritten Stock, wo die Röhre anfängt, auch eine Verschlusskappe, um die Röhre unzugänglich zu machen."  
Columbo machte große Augen.
"Wie kann man die öffnen? Braucht man dazu einen Schlüssel oder kann die jeder öffnen?" 
"Wenn Mister Handle kein Schloss eingebaut hat, kann die jeder öffnen. Warum fragen Sie das? Vermuten Sie, jemand hat den Mann ermordet und in der Rausschmeißer-Röhre seine Leiche sicher versteckt?"
Columbo schnappte nach Luft.
"Auf den Gedanken bin ich noch gar nicht gekommen. Aber das sollte ich wirklich mal überprüfen. Solche Ideen zu haben, ist eigentlich meine Spezialität. Ich muss alt werden. Bald wachsen mir bestimmt schon Haare auf den Ohren."  
Columbo grübelte stumm einige Sekunden über den Fall, über sich und über sein Leben nach, bevor van Zonbrooks den Gesprächsfaden wieder aufnahm.
"Gibt es sonst noch was, das ich für Sie tun kann?"
"Offen gesagt ja. Ich glaube zwar nicht, dass Sie als Täter in Frage kommen, erst recht nicht nach dieser offen ausgesprochenen Idee von Ihnen, aber Tatsache ist nun mal, dass wir im Aschenbecher von Mister Handles Wagen einen Zigarrenstummel gefunden haben, der nicht von ihm stammen kann, weil er Nichtraucher ist. Und da Sie Zigarren rauchen, bräuchten wir eine Speichelprobe von Ihnen, um ausschließen zu können, dass Sie in seinem Wagen gesessen haben. Dazu möchte ich Sie bitten, mich aufs Revier zu begleiten."  
Van Zonbrooks erhob sich aus seinem Ohrensessel.
"Wenn ich damit den Verdacht von mir abstreifen kann, der mir offenbar anhaftet, ist es mir ein Vergnügen, meine Unschuld zu beweisen. Nehmen wir Ihren Wagen oder meinen?"
"Ich würde gerne mal in einem Luxusschlitten sitzen," gestand Columbo sich ein. "Nehmen wir also Ihren Jaguar! Meinen Peugeot hole ich auf dem Rückweg ab."  
Und es geschah so.

 
Columbologe
1. Polizeihauptkommissar
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Registriert: Mi, 10.10.2018 16:07

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